26.10.19 Masada, En Gedi, Baden im Toten Meer, Rückflug
Heute brechen wir gleich um 8 Uhr auf Richtung Süden. Unser Ziel: Das
Tote Meer. Wie bereits gestern passieren wir, kaum dass der
innerstädtische Bereich Jerusalems hinter uns liegt, eine
Grenzkontrolle.
Wieder vollkommen problemlos. Der Verkehr fliesst. Zu unserer Linken:
Die Grenzmauer, bzw. der Grenzzaun. Eingeklemmt zwischen Mauer und
Schnellstrasse liegen mehrere kleinere Beduinensiedlungen. Ein seltsames
Bild.
Ich schaue konzentriert aus dem Fenster, um möglichst viel
mitzubekommen. Aber alles, was ich erkennen kann, sind ein paar
windschiefe Wellblechhütten, in die Jahre gekommene Pick-ups,
Plastikfässer. Hier und da ein wenig Gestrüpp, an dem sich einige dürre
Schafe oder Ziegen gütlich tun. Menschen sehe ich keine. Es ist noch
früh am Tag. Vielleicht schlafen die Bewohner der Siedlung noch. Wie es
sich wohl anfühlt, an diesem Ort zu leben? Haben die Bewohner
Alternativen?
Weiter geht die Fahrt. Ich sitze in der ersten Reihe, direkt hinter Bilal, unserem Busfahrer. Der ein wahrer Künstler seiner Zunft ist. Unglaublich, wie souverän Bilal dieses schwere Ungetüm von Reisebus selbst durch die engsten Gassen steuert. Virtuos rangierend, vorwärts, rückwärts. Egal was kommt, Bilal bleibt gelassen und freundlich. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen!
Schnurgerade verläuft der Highway Richtung Süden. Ein Verkehrsschild macht mir bewusst: Hey, wir befinden uns gerade auf der Straße zwischen Jericho und Jerusalem! Der barmherzige Samariter lässt grüßen!
Leider werden wir Jericho nicht besuchen. Schade. Am Sonntag vor unserer Abreise habe ich über Rahab gepredigt und über die Kundschafter, die in ihrem Bordell an der Stadtmauer von Jericho eingekehrt sind. Eine Geschichte, die ich nur schwer wieder loslassen konnte. Rahab und ihr rotes Hoffnungsband - wie gerne hätte ich ihre Stadt besucht!
Aber leider ist es ganz und gar unmöglich, in diesem eigentlich nicht sehr großen Land, alle Orte zu besuchen, die zu besuchen sich lohnen würden. Deshalb freue ich mich jetzt einfach auf Masada. Denn dort möchte ich unbedingt hin.
Gestern Abend war kurz die Rede davon, dass uns heute womöglich aufziehender Regen einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Auf diesen Gedanken will ich mich gar nicht einlassen. Wenn wir Masada nicht besuchen könnten, würde mich das wirklich frustieren! Wie viel habe ich schon gehört oder gelesen über diesen besonderen Ort. Im Sommer vor einem Jahr, als die Idee zu dieser Reise Gestalt annahm, fiel mir mehr oder weniger zufällig das Buch von Yigael Yadin über die Ausgrabungen von Massada in die Hände. Ich habe es in einem Rutsch gelesen und ich faszinieren lassen von diesem archäologischen Abenteuer.
Die Landschaft, die an unserem Busfenster vorrüber zieht, wird immer karger. Jetzt sind wir wirklich und wahrhaftig in der Wüste. Felsen und Steine, soweit das Auge reicht. Keine bisschen Grün. Das Hier und da etwas Gestrüpp, welk und vertrocknet.
Zu unserer Rechten, in einigem Abstand zur Fahrbahn erkennt man eine verlassene Raststätte und die Reste einer längst aufgegebenen Straße. Wahrscheinlich wären wir achtlos daran vorbei gefahren, wenn Nathan uns nicht auf diese Szenerie aufmerksam gemacht hätte. Hier an dieser Raststätte sei er als kleiner Junge mit seinen Eltern gelegentlich eingekehrt, erzählt er. Vor einigen Jahren hätten sich im Bereich dieser Raststätte plötzlich ein Krater aufgetan. Seitdem dürfe das Gebiet nicht mehr betreten werden.
"Sinkholes" nenne man diese gefährlichen Löcher. Das ganze Ufer sei voll davon. Manche von ihnen Ihnen seien riesig groß, andere unscheinbar klein. Immer wieder täten sich neue Löcher auf.
Nathan erklärt uns, wie solche Sinkholes entstehen. Während das Salz im Wasser des Toten Meeres in gelöster Form vorfindlich ist, befinden sich im Erdboden des weiten Uferbereichs Salzkristalle. An manchen Stellen treten sie vereinzelt auf, in Form kleiner Salzsteinchen. An anderen Stellen bilden die Salzkristalle regelrechte unterirdische Felsformationen.
Seit Jahren sinkt der Wasserspiegel des Toten Meeres beträchtlich. Inzwischen um ca. 1 Meter pro Jahr. Mehr als ein Drittel des Toten Meeres ist in jüngerer Zeit bereits verlandet. Vor allem, weil dem Jordan, dem Zufluss des Toten Meeres, immer mehr Wasser entnommen wird. Für die öffentliche Wasserversorgung und für landwirtschaftliche Zwecke. Diese intensive Wasserentnahme ist zum einen natürlich ein Politikum inmitten der konfliktträchtigen Gemengelage dieser Region. Zum anderen hat die massive Wasserbewirtschaftung gravierende geologische Konsequenzen.
Der enorme Wasserdruck im Toten Meer sorgt dafür, dass die Salzkristalle im Meeresboden stabil bleiben. Da wo sich allerdings neue Uferbereiche bilden, entfällt dieser Druck. Außerdem sind die Salzkristalle im Boden mit einem Mal dem aus Süßwasser bestehenden Regen ausgesetzt. Nach und nach löst das Regenwasser schließlich das Salz auf. Dessen kristalline Struktur zerfällt, was die besagten unterirdische Hohlräume entstehen lässt. Diese wiederum können unversehens einbrechen und dabei, je nach Größe, Straßen, Gebäude, weidende Tiere und Menschen in die Tiefe reißen. Weite Teile des Ufers des Toten Meeres sind deshalb gesperrt. Baden z.B. ist nur noch an einigen wenigen, abgesicherten Stellen erlaubt.
Es ist nicht so, als hätte ich von der Problematik des sinkenden Wasserspiegels des Toten Meeres noch nie zuvor gehört. Aber jetzt, wo ich die Auswirkungen mit eigenen Augen sehe, wird mir klar, was hier auf dem Spiel steht: Eine weltweit einzigartige Landschaft wird zerstört. Unaufhaltsam, wie es scheint.
Wird das Tote Meer womöglich irgendwann einmal ganz verschwunden sein?
Es bedrückt mich, so anschaulich vor Augen geführt zu bekommen: Überall, wo wir Menschen eingreifen, wo sich unsere Spezies niederlässt, wird Gottes gute Schöpfung zerstört. Dabei sind wir Menschen von Gott nach Genesis 2 dazu bestimmt, diese Erde zu bebauen und zu bewahren.
Gleich werden wir am Fuß des Masadamassivs ankommen. Rasch klären wir, wer das Felsplateau dieses gigantischen Tafelberges zu Fuß erklimmen und wer lieber mit der Seilbahn hinauffahren möchte. Niemand müsse sich fürchten, die Seilbahn zu benutzen, meint Nathan. Sie sei von einer Schweizer Firma errichtet und werde von ihr betreut und gewartet.
Na dann ist ja alles in bester Ordnung! Aber wie dem auch sei: Für mich ist sowieso sonnenklar: Ich will den Schlagenpfad hinauf laufen. Unbedingt.
Also schließe ich mich der "Fußgänger-Gruppe" an. Der Berg ruft! Wir ziehen los!
Mit der Ermahnung von Silke im Ohr, wir sollten bloß nicht vergessen, hinter jeder Wegbiegung einen Schluck aus unseren Wasserflaschen nehmen. "Ja, Mama", denke ich und rolle innerlich mit den Augen.
Aber sie hat ja Recht. Silke ist nicht zum ersten Mal hier. Das Klima ist wirklich nicht ohne. Da ist zum einen die ungewohnt trockene heiße Wüstenluft und die starke Sonneneinstrahlung.
Außerdem liegt die Talsohle deutlich unter dem Meeresspiegel. Und vom Toten Meer aus gesehen, beträgt der Höhenunterschied bis oben auf das Felsplateau immer hin 400 Meter. Die man, bei einigermaßen zügigem Fußmarschtempo in ca. 40 Minuten bewältigen kann.
Eine Konstellation also, bei der der Kreislauf durchaus schlapp machen kann, selbst wenn man eigentlich gut im Training ist.
Ich habe Glück und bekomme keine besonderen Probleme. Gegen die Sonne habe ich eins meiner Halstücher zu einer Art Beduinenturban hochgezwirbelt. Das mit dem Schluck Wasser hinter jeder Wegbiegung, ignoriere ich allerdings geflissentlich. Mich zieht es hinauf und ich genieße die Bewegung nach der langen Busfahrt. Nur zwei,dreimal halte ich kurz inne, genehmige mir einen tiefen Zug kalten Tee und genieße den unvergleichlichen Ausblick.
Oben angekommen, werden wir von der "Seilbahn-Gruppe" gebührend empfangen. Nach einer kurzen Erfrischungspause führt Nathan uns über die weitläufige Anlage, die in Wirklichkeit noch einmal viel beeindruckender ist, als ich es erwartet hatte. Und: Ich werde nicht müde, davon zu schwärmen: Der Ausblick von hier oben ist einfach gigantisch!
Drüben, am anderen Ufer des Toten Meeres, erheben sich die Berge Moabs, des heutigen Jordaniens. Ich muss an Noemi denken, von deren Schicksal das biblische Buch Ruth erzählt.
Über diese Berge also ist Noemi einst mit ihrer Familie Richtung Moab gewandert. Denn in ihrer Heimat, in Bethlehm, was soviel heißt wie "Brothaus", gibt es damals kein Brot mehr. "Wirtschaftsflüchtlinge" also. Schon immer hat es das gegeben, dass die schiere Not Menschen dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen.
Ich sehe Noemi vor mir, wie sie schließlich Jahre später, nach dem Tod ihres Mannes und dem Tod ihrer beiden Söhne, wieder nach Bethlehem zurück kehrt. Wieder eine Wanderung über diese Berg dort drüben am Horizont. Alt geworden ist Noemi und gezeichnet von ihrem schweren Schicksal. Aber Noemi ist nicht alleine. Zum Glück nicht. Ruth, eine ihrer Schwiegertöchter, geht mit. Lässt alles hinter sich. Ihre Heimat, ihre Familie, ihre Sprache, ihre Kultur. Um der alten Noemi beizustehen. "Wo Du hingehst, da will ich auch hin gehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Gott ist mein Gott.", sagt Ruth zu ihrer Schwiegermutter. Die junge Moabiterin findet "Zuflucht hat unter den Fittichen des Gottes Israel" (Ruth 2, 12). Und außerdem ein neues, unverhofftes irdisches Glück: An der Seite von Boas, eines eines ebenso anständigen, wie wohlhabenden Mannes. Ruth, eine Fremde, eine aus den Völkern wird die Großmutter von König David und sie gehört somit nach Matthäus 1 zu den Urahninnen von Jesus.
Masada wurde ursprünglich errichtet im Auftrag von König Herodes I. dem Großen (73–4 v. Chr.), etwa zwischen 40 v. Chr. und 30 v. Chr. Die Anlage diente Herodes einerseits als militärische Befestigungsanlage und andererseits als königliche Sommer- und Gästeresidenz. Mit welcher Dekadenz Herodes und seine Günstlinge hier oben logiert haben! Die dreistufige Palastanlage ist erstaunlich gut erhalten.
Kostbare Mosaiken, farbstarke Fresken: Unzählige beeindruckende Zeugnisse antiker Baukunst und Ingenieursleistung. Die Fülle von Artefakten und Informationen überfordert sogar mich, die ich so leicht nicht genug bekommen kann von dergleichen.
Welch ein Wahnsinn ist das gewesen! Wie viele Sklaven werden hier tagein, tagaus härteste Arbeiten verrichtet haben. Nur damit einige Privilegierte diesen überbordenden Luxus genießen konnten: Elegant gestaltete Speiseräume, erlesene Dinners, eine Bibliothek mit anregender Lektüre, und - das finde ich, setzt allem die Krone auf: Eine Wellnessanlage vom feinsten, inclusive Panoramasauna - mitten in der Wüste!
Aber Masada steht nicht nur für den dekadenten Lebensstil von Herodes und seinesgleichen.
Masada ist vor allem das Symbol für den jüdischen Freiheitswillen. Wenn man das Buch von Professor Yadin liest, spürt man etwas von der geradezu therapeutischen Wirkung der Wiederentdeckung dieses Ortes für die Überlebenden der Shoah.
Während des Jüdischen Krieges ab 66 nach Christus gelang es einer Gruppe von aufständigen Juden, den sogenannten Sikariern, den Römern die Herrschaft über die Festung Masada zu entwinden und sie zu einem Widerstandsnest umzubauen.
Auf dem Foto oben mit dem Mosaikbogen kann man erkennen, dass es den Aufständischen dabei ums nackte Überleben gegangen sein muss. Eine einfache, grob erstellte Mauer ist auf den feinen Fußboden gesetzt worden. Denkmalschutz lag den Widerständlern, verständlicher Weise, völlig fern.
Die jüdischen Guerillakämpfer hatten genug damit zu tun, hier oben mitsamt ihren Familien zu überleben. Und damit von hier aus, so lange es ihnen noch möglich war, gewaltsamen Aktionen außerhalb durch zu führen. Im Grunde, so Nathan, könnte man diese Gruppe mit dem IS vergleichen. In der Tat ist es ja so, ohne den IS verharmlosen zu wollen: Ob jemand als Terrorist bezeichnet wird oder als Freiheitskämpfer kommt bekanntlich immer einzig und allein auf die Perspektive an.
Wie auch immer: Den Sikariern von Masada ist es erstaunlich lange gelungen, hier oben zu überleben und von hier aus zu kämpfen. Dies ermöglichte ihnen nicht nur die strategisch günstige Lage und das ausgeklügelte Kasemattensystem, sondern auch eine unglaublich effektiven Wasserversorgung und die enormen Vorratshaltung der "Vorbesitzer" dieses Ortes.
Im Jahr 73 / 74 nach Christus schließlich haben die Römer begonnen, Masada systematisch zu belagern. Der noch heute nachvollziehbare Aufwand, den sie dabei betrieben haben, zeigt, wie bedrohlich die jüdischen Aufständischen für die Römer gewesen sein müssen.
Der gesamte Fuß des Berges wurde zunächst mit einer Mauer und mehreren Kastellen gesichert. Die Grundrissen dieser nicht ganz zweitausend Jahre alten Militäranlagen sind teilweise heute noch erkennbar. Eine enorm große Belagerungsrampe wurde aufschüttet über die die Festung schließlich eingenommen werden konnte. Aber anderes als erwartet geriet diese Eroberung nicht zum Triumph. Denn oben auf dem Plateau angekommen, erwartete die Eroberer nichts als buchstäbliche Totenstille.
Dem Leben in Unfreiheit hatten die Aufständischen den Tod aus eigener Hand vorgezogen. Das Felsplateau war übersät mit den Leichen von 960 Männer samt Frauen und Kindern. Nur zwei Frauen und fünf Kinder hatten sich der Tötung entzogen und konnten den schockierten römischen Soldaten berichten, was sich zugetragen hatte.
Masada wurde so zum Symbol des unbedingten jüdischen Freiheitswillens. Generationen von jüdischen Soldatinnen und Soldaten sind seit der Staatsgründung 1948 hier oben feierlich vereidigt worden. Inzwischen rücke man von dieser Tradition etwas ab, erklärt uns Nathan, weil das Mittel des kollektiven Suzids von den Verantwortlichen der Armee zunehmen kritisch betrachtet würde.
Während wir Nathan folgen, der uns von einem archälogisch spannenden Punkt führt, komme ich ins Gespräch mit einer Mitreisenden, die in der Palliativmedizin tätig ist.
Wir sprechen über das Aufgeben.
Über den Moment, wenn ein Mensch, der lange und tapfer gekämpft hat, erkennen muss: Ich habe keine Chance mehr. Die Krankheit ist stärker als ich.
Wie mag sich das anfühlen: Kapitulieren müssen vor der Übermacht eines Stärkeren? Dem ich nichts mehr entgegen zu setzen habe?
Was für ein unerwartetes Thema, was für ein gutes, mir kostbares Gespräch! Wir führen viele solcher kostbaren guten Gesprächen in diesen Tagen. Nicht allein mir geht das so. Auch die anderen aus unserer Gruppe machen diese Erfahrung. Ein echtes Geschenk ist das. So etwas lässt sich nicht planen oder herbei zwingen. Sondern nur dankbar annehmen.
Masada - der Ort des erbitterten Freiheitskampfes, ein Ort, an dem es aus zu sein schien für die, die sich hier oben verschanzt hatte. Aber gab es wirklich nur diesen einen einzigen Ausweg, den Tod von eigener Hand?
Nathan erinnert uns an eine andere Geschichte aus jenen Tagen. Eine Gegengeschichte. Eine Geschichte, die mir vertraut ist. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie hier oben zu erzählen.
Aber Nathan hat Recht. Mehr noch: Das ist genial!
Hier auf Masada ist der beste Ort, um an Rabbi Jochanan Ben Sakai zu erinnern.
Rabbi Jochanan war ein Zeitgenosse der Aufständischen von Masada. Er erlebte den Ansturm und die Zerstörungswut der römischen Besatzer nicht hier draußen in der jüdäischen Wüste, sondern im belagerten Jerusalem. Die Römer hatten einen undurchdinglichen Ring um die Stadt gebildet. Kein Bewohner Jerusalems durfte die Stadt verlassen. Die einzige Ausnahme: Wenn jemand gestorben war und begraben werden musste. Weil die Römer den Ausbruch einer Seuche verhindern wollten. Als er die Ausweglosigkeit der Lage erkannte, fasste Rabbi Jochanan Ben Sakai einen verwegenen Plan: Er ließ sich von seinen Schülern in einem Sarg aus der Stadt heraustragen. Für authentischen Leichengeruch sorgte etwas verdorbenes Fleich.
Den Belagerern entkommen gelangte Ben Sakai mit seinen Schülern hoch im Norden in das entlegende kleine Dörfchen Jawne. Dort gründete er ein Lehrhaus. Einen Ort, an dem der jüdische Glaube transformiert wurde. Von einem Glauben, der nur in Verbindung mit dem Tempelkult praktiziert werden konnte, hin zu einem Glauben, der die Tieropfer ersetzt durch Gebet und Lobgesang, durch Taten der Gerechtigkeit und durch das Studium der heiligen Schrift. Rabbi Jochanan hatte einen anderen Weg gewählt als die Sikarier von Masada. Einen Weg, der das Judentum gerettet und überlebensfähig gemacht, es zu neuer Blüte geführt hat.
Wir verlassen Masada. Für den Rückweg nehme ich auch die Seilbahn und genieße ein letztes Mal die großartige Aussicht.
Nach einer kurzen Mittagsrast steigen wir wieder in unseren Bus und fahren wieder zurück Richtung Jerusalem.
Der Himmel hat sich zugezogen: Hoffentlich wird es nicht doch noch zu regnen beginnen....
Das wäre so schade, denn wir haben noch zwei Dinge vor an diesem letzten Nachmittag unserer Reise: Ein kurzer Abstecher nach En Gedi und ein Bad im Toten Meer.
En Gedi - wieder einmal, wie so oft denke ich, dass ich hier gerne einen ganzen Tag verbringen würde! En Gedi was übersetzt wo viel heißt wie "Quelle des Zickleins" ist eine Oase.
Mitten in der Wüste ergießen sich zahlreiche Wasserfälle von hohen Felsen herab. Wie erfrischend das ist! Und weil da, wo Wasser ist, auch etwas wachsen kann, ist es hier herrlich grün.
Alle möglichen Tierarten finden hier seit Jahrtausenden ihr Refugium: Berggazellen, Steinböcke und Klippschliefer. Letztere sehen wir tatsächlich in natura. Es handelt sich um eine Art Murmeltiere. Kleine Nager, die absolut nicht scheu sind.
In den Felsen von En Gedi befinden sich zahllose Höhlen. Ein idealer Ort für Leute, die sich verstecken müssen. Wie der junge David zum Beispiel. Auf seiner Flucht vor dem eifersüchtigen König Saul, der ihm nach dem Leben trachtete.
Nach 1. Samuel 21 - 24 hält sich David in der Gegend von En Gedi auf und sammelt hier einen Trupp junger Kämpfer, die seine Sache unterstützen. Es wäre reizvoll, sich in diese besondere Phase der David-Geschichte zu vertiefen, aber, wie so oft während unserer Reise: Die Zeit drängt.
Eine kleine Szene erlaubte ich mir zu imaginieren. Ohne den Besuch dieses Ortes hätte ich mir das nie so ausmalen können. Einzig die anderen Tourist*innen muss ich dafür vor meinem inneren Auge wegbeamen:
Und dann sehe ich ihn auch schon vor mir:
Den jungen schöne David.
Wie er unter diesem Wasserfall steht und sich eine erfrischende Dusche gönnt.
Der junge schöne David:
Ein wahres Bild von einem Mann.
Durchtrainiert.
Mutig.
Ein Mann mit einer natürlichen Autorität.
Der, wie man (und frau!) weiß,
zugleich feinsinnig ist
und musikalisch.
Ein Mann, von Gott gesegnet und berufen.
Die problematischen Phasen in Davids Biographie,
die Brüche,
sein Scheitern,
all das ist hier in En Gedi noch nicht präsent.
Aber genug geträumt...
Es geht weiter, denn das muss noch sein: Ein letzter von manchen besonders heiß ersehnter letzter Programmpunkt will absolviert werden: Ein Bad im toten Meer.
In der Tat ist dies ein Erlebnis. Dieses absolut ungewohnte, Nicht-wirklich-Schwimmen-können, wegen des starken Auftriebs durch den hohen Salzgehalt im Wasser.
Aber, ich muss es leider sagen, bei allem Spass den wir hatten - ich nehme auch hier an dieser Badestelle vor allem das ökologische Desaster wahr, dass sich am Toten Meer ereignet.
Wie lange wird das überhaupt noch möglich sein in diesem einzigartigen Gewässer zu baden?
Irgendwie wirkt die ganze Badestelle ziemlich herunter gekommen, so als würden ihre Besitzer sie nicht mehr für renovierungswürdig halten.
Als wir wieder im Bus sitzen, wird es schon dämmrig.
Kurz vor Jerusalem beginnt es leise zu tröpfeln.
Das ist er also, der Frühregen, der in Psalm 84 erwähnt wird, meinem Lieblingspsalm.
"... Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen. Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion..."
Als wir am Hotel ankommen, gießt es in Strömen.
Nach dem Abendessen, unserer letzten gemeinsamen Mahlzeit für diese Reise, regnet es immer noch. Zusammen mit einigen Unentwegten wage ich mich trotzdem noch einmal raus. Jede Minute will ich auskosten. Nur noch ein kurzer Gang zum Mahane Yehuda, die Yafo-Street entlang. Die letzten Shekel ausgeben. Wisozki-Tea dafür erstehen, außerdem Cracker und Gewürze.
Wehmütig gehen wir durch die Straßen, werden pitschnass, aber das macht uns nichts aus.
Schließlich müssen wir doch zum Hotel zurückkehren.
Es hilft ja nichts. Auch die schöneste und ersehnteste Reise endet einmal.
Jetzt heißt es Koffer packen.
Möglichst noch ein bisschen schlafen.
Bis der Wecker klingelt.
Um drei Uhr morgens müssen wir am Flughafen sein.
Und zwar um drei Uhr morgens nach neuer Zeit.
Denn, ach Du Schreck, gut, dass wir es mitbekommen haben: Heute Nacht werden hier in Israel die Uhren umgestellt. Um Punkt zwei müssen die Zeiger um eine Stunde zurück gestellt werden.
Wann müssen wir denn dann aufstehen? Wann hier aufbrechen?
Wir rechnen hin und her - und obwohl wir so viele Lehrerinnen und Lehrer in der Gruppe haben: Eine gewisse Verunsicherung bleibt bis zuletzt.
Aber, um es kurz zu machen: Alles klappt perfekt.
Wir sind pünktlich am Flughafen, haben einen guten Flug, in Frankfurt wartet bereits der Siegener Reisebus auf uns. Um die Mittagszeit sind wir wieder zuhause.
Übermüdet, dankbar und glücklich.
Auch wenn es erkältungsmäßig die eine oder den anderen ziemlich erwischt hat.
Jetzt heißt es: Wieder ankommen im Alltag.
Die vielen Eindrücke verarbeiten.
Was nicht ganz leicht wird.
Denn diese Reise war keine gewöhnliche Reise.
Sie war außergewöhnlich. Außergewöhnlich gut. Sehr wesentlich verdanken wir dies unserem Guide Nathan Landau, der einfach nur großartig war. In jeglicher Hinsicht! Ich habe, glaube ich, noch nie jemanden (so junges zudem!) getroffen, der so umfassend gebildet ist wie er. Derart didaktisch fit, menschlich angenehm im Umgang, liebenswürdig, humorvoll.... Und in der Lage, die Dinge differenziert darzustellen. Nathan ist jüdischer Israeli mit Leib und Seele. Einer, der sich in der Friedensbewegung engagiert. Der für die Verständigung mit den Palästinensern wirbt. Weil er sich nach echten Frieden sehnt, nach Schalom. Gerade weil er sein Land liebt.
Wer mehr wissen möchte über Nathans Sicht auf den Konflikt und mögliche Lösungen, kann hier seinen Beitrag auf der Internetseite "Combatants for peace" lesen. In dem hier beschriebenen friedensstiftenden Geist hat Nathan uns sein Land gezeigt und unseren Horizont geweitet. Dafür sind wir ihm zu großem Dank verpflichtet!
Wer auch immer sich mit dem Gedanken trägt, nach Israel zu reisen oder gar eine Reisegruppe dorthin zu führen: Schaut Euch sein Profil an, nehmt Kontakt mit Nathan auf - ihr werdet es nicht bereuen!
Nein, diese Reise war keine gewöhnliche Reise.
Auch weil diese Gruppe keine gewöhnliche war.
Deshalb, zum Ende meines Reise-Blogs:
Liebe Mitreisende,
ich vermisse Euch alle so sehr!!!
Aber wenn ich die Einträge in unserem Gruppenchat lese, stelle ich fest: Da bin ich nicht die einzige.
Von daher freue ich mich jetzt einfach auf unser Nachtreffen.
Und - vielleicht - wer weiß?!
Auf eine Reise "Israel 2.0 - Israel für Fortgeschrittene"?
Während wir aufs Boarding gewartet haben in Tel Aviv haben wir jedemfalls schon mal angefangen Pläne zu schmieden.....
Schalom, Ihr Lieben! Es war unvergesslich schön mit Euch!
Eine kleine Bemerkung zumSchluss:
Unser Reisebüro, die Reisemission Leipzig, können wir nur empfehlen! www.reisemission-leipzig.de
Weiter geht die Fahrt. Ich sitze in der ersten Reihe, direkt hinter Bilal, unserem Busfahrer. Der ein wahrer Künstler seiner Zunft ist. Unglaublich, wie souverän Bilal dieses schwere Ungetüm von Reisebus selbst durch die engsten Gassen steuert. Virtuos rangierend, vorwärts, rückwärts. Egal was kommt, Bilal bleibt gelassen und freundlich. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen!
Schnurgerade verläuft der Highway Richtung Süden. Ein Verkehrsschild macht mir bewusst: Hey, wir befinden uns gerade auf der Straße zwischen Jericho und Jerusalem! Der barmherzige Samariter lässt grüßen!
Leider werden wir Jericho nicht besuchen. Schade. Am Sonntag vor unserer Abreise habe ich über Rahab gepredigt und über die Kundschafter, die in ihrem Bordell an der Stadtmauer von Jericho eingekehrt sind. Eine Geschichte, die ich nur schwer wieder loslassen konnte. Rahab und ihr rotes Hoffnungsband - wie gerne hätte ich ihre Stadt besucht!
Aber leider ist es ganz und gar unmöglich, in diesem eigentlich nicht sehr großen Land, alle Orte zu besuchen, die zu besuchen sich lohnen würden. Deshalb freue ich mich jetzt einfach auf Masada. Denn dort möchte ich unbedingt hin.
Gestern Abend war kurz die Rede davon, dass uns heute womöglich aufziehender Regen einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Auf diesen Gedanken will ich mich gar nicht einlassen. Wenn wir Masada nicht besuchen könnten, würde mich das wirklich frustieren! Wie viel habe ich schon gehört oder gelesen über diesen besonderen Ort. Im Sommer vor einem Jahr, als die Idee zu dieser Reise Gestalt annahm, fiel mir mehr oder weniger zufällig das Buch von Yigael Yadin über die Ausgrabungen von Massada in die Hände. Ich habe es in einem Rutsch gelesen und ich faszinieren lassen von diesem archäologischen Abenteuer.
Die Landschaft, die an unserem Busfenster vorrüber zieht, wird immer karger. Jetzt sind wir wirklich und wahrhaftig in der Wüste. Felsen und Steine, soweit das Auge reicht. Keine bisschen Grün. Das Hier und da etwas Gestrüpp, welk und vertrocknet.
Zu unserer Rechten, in einigem Abstand zur Fahrbahn erkennt man eine verlassene Raststätte und die Reste einer längst aufgegebenen Straße. Wahrscheinlich wären wir achtlos daran vorbei gefahren, wenn Nathan uns nicht auf diese Szenerie aufmerksam gemacht hätte. Hier an dieser Raststätte sei er als kleiner Junge mit seinen Eltern gelegentlich eingekehrt, erzählt er. Vor einigen Jahren hätten sich im Bereich dieser Raststätte plötzlich ein Krater aufgetan. Seitdem dürfe das Gebiet nicht mehr betreten werden.
"Sinkholes" nenne man diese gefährlichen Löcher. Das ganze Ufer sei voll davon. Manche von ihnen Ihnen seien riesig groß, andere unscheinbar klein. Immer wieder täten sich neue Löcher auf.
Nathan erklärt uns, wie solche Sinkholes entstehen. Während das Salz im Wasser des Toten Meeres in gelöster Form vorfindlich ist, befinden sich im Erdboden des weiten Uferbereichs Salzkristalle. An manchen Stellen treten sie vereinzelt auf, in Form kleiner Salzsteinchen. An anderen Stellen bilden die Salzkristalle regelrechte unterirdische Felsformationen.
Seit Jahren sinkt der Wasserspiegel des Toten Meeres beträchtlich. Inzwischen um ca. 1 Meter pro Jahr. Mehr als ein Drittel des Toten Meeres ist in jüngerer Zeit bereits verlandet. Vor allem, weil dem Jordan, dem Zufluss des Toten Meeres, immer mehr Wasser entnommen wird. Für die öffentliche Wasserversorgung und für landwirtschaftliche Zwecke. Diese intensive Wasserentnahme ist zum einen natürlich ein Politikum inmitten der konfliktträchtigen Gemengelage dieser Region. Zum anderen hat die massive Wasserbewirtschaftung gravierende geologische Konsequenzen.
Der enorme Wasserdruck im Toten Meer sorgt dafür, dass die Salzkristalle im Meeresboden stabil bleiben. Da wo sich allerdings neue Uferbereiche bilden, entfällt dieser Druck. Außerdem sind die Salzkristalle im Boden mit einem Mal dem aus Süßwasser bestehenden Regen ausgesetzt. Nach und nach löst das Regenwasser schließlich das Salz auf. Dessen kristalline Struktur zerfällt, was die besagten unterirdische Hohlräume entstehen lässt. Diese wiederum können unversehens einbrechen und dabei, je nach Größe, Straßen, Gebäude, weidende Tiere und Menschen in die Tiefe reißen. Weite Teile des Ufers des Toten Meeres sind deshalb gesperrt. Baden z.B. ist nur noch an einigen wenigen, abgesicherten Stellen erlaubt.
Es ist nicht so, als hätte ich von der Problematik des sinkenden Wasserspiegels des Toten Meeres noch nie zuvor gehört. Aber jetzt, wo ich die Auswirkungen mit eigenen Augen sehe, wird mir klar, was hier auf dem Spiel steht: Eine weltweit einzigartige Landschaft wird zerstört. Unaufhaltsam, wie es scheint.
Wird das Tote Meer womöglich irgendwann einmal ganz verschwunden sein?
Es bedrückt mich, so anschaulich vor Augen geführt zu bekommen: Überall, wo wir Menschen eingreifen, wo sich unsere Spezies niederlässt, wird Gottes gute Schöpfung zerstört. Dabei sind wir Menschen von Gott nach Genesis 2 dazu bestimmt, diese Erde zu bebauen und zu bewahren.
Gleich werden wir am Fuß des Masadamassivs ankommen. Rasch klären wir, wer das Felsplateau dieses gigantischen Tafelberges zu Fuß erklimmen und wer lieber mit der Seilbahn hinauffahren möchte. Niemand müsse sich fürchten, die Seilbahn zu benutzen, meint Nathan. Sie sei von einer Schweizer Firma errichtet und werde von ihr betreut und gewartet.
Na dann ist ja alles in bester Ordnung! Aber wie dem auch sei: Für mich ist sowieso sonnenklar: Ich will den Schlagenpfad hinauf laufen. Unbedingt.
Also schließe ich mich der "Fußgänger-Gruppe" an. Der Berg ruft! Wir ziehen los!
Mit der Ermahnung von Silke im Ohr, wir sollten bloß nicht vergessen, hinter jeder Wegbiegung einen Schluck aus unseren Wasserflaschen nehmen. "Ja, Mama", denke ich und rolle innerlich mit den Augen.
Aber sie hat ja Recht. Silke ist nicht zum ersten Mal hier. Das Klima ist wirklich nicht ohne. Da ist zum einen die ungewohnt trockene heiße Wüstenluft und die starke Sonneneinstrahlung.
Außerdem liegt die Talsohle deutlich unter dem Meeresspiegel. Und vom Toten Meer aus gesehen, beträgt der Höhenunterschied bis oben auf das Felsplateau immer hin 400 Meter. Die man, bei einigermaßen zügigem Fußmarschtempo in ca. 40 Minuten bewältigen kann.
Eine Konstellation also, bei der der Kreislauf durchaus schlapp machen kann, selbst wenn man eigentlich gut im Training ist.
Ich habe Glück und bekomme keine besonderen Probleme. Gegen die Sonne habe ich eins meiner Halstücher zu einer Art Beduinenturban hochgezwirbelt. Das mit dem Schluck Wasser hinter jeder Wegbiegung, ignoriere ich allerdings geflissentlich. Mich zieht es hinauf und ich genieße die Bewegung nach der langen Busfahrt. Nur zwei,dreimal halte ich kurz inne, genehmige mir einen tiefen Zug kalten Tee und genieße den unvergleichlichen Ausblick.
Oben angekommen, werden wir von der "Seilbahn-Gruppe" gebührend empfangen. Nach einer kurzen Erfrischungspause führt Nathan uns über die weitläufige Anlage, die in Wirklichkeit noch einmal viel beeindruckender ist, als ich es erwartet hatte. Und: Ich werde nicht müde, davon zu schwärmen: Der Ausblick von hier oben ist einfach gigantisch!
Drüben, am anderen Ufer des Toten Meeres, erheben sich die Berge Moabs, des heutigen Jordaniens. Ich muss an Noemi denken, von deren Schicksal das biblische Buch Ruth erzählt.
Über diese Berge also ist Noemi einst mit ihrer Familie Richtung Moab gewandert. Denn in ihrer Heimat, in Bethlehm, was soviel heißt wie "Brothaus", gibt es damals kein Brot mehr. "Wirtschaftsflüchtlinge" also. Schon immer hat es das gegeben, dass die schiere Not Menschen dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen.
Ich sehe Noemi vor mir, wie sie schließlich Jahre später, nach dem Tod ihres Mannes und dem Tod ihrer beiden Söhne, wieder nach Bethlehem zurück kehrt. Wieder eine Wanderung über diese Berg dort drüben am Horizont. Alt geworden ist Noemi und gezeichnet von ihrem schweren Schicksal. Aber Noemi ist nicht alleine. Zum Glück nicht. Ruth, eine ihrer Schwiegertöchter, geht mit. Lässt alles hinter sich. Ihre Heimat, ihre Familie, ihre Sprache, ihre Kultur. Um der alten Noemi beizustehen. "Wo Du hingehst, da will ich auch hin gehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Gott ist mein Gott.", sagt Ruth zu ihrer Schwiegermutter. Die junge Moabiterin findet "Zuflucht hat unter den Fittichen des Gottes Israel" (Ruth 2, 12). Und außerdem ein neues, unverhofftes irdisches Glück: An der Seite von Boas, eines eines ebenso anständigen, wie wohlhabenden Mannes. Ruth, eine Fremde, eine aus den Völkern wird die Großmutter von König David und sie gehört somit nach Matthäus 1 zu den Urahninnen von Jesus.
Das
ist das Atemberaubende hier in Israel: Hinter jeder Wegbiegung erwartet
einen immer wieder eine andere, eine neue biblische Geschichte. Am
liebsten würde ich all diesen Bezügen sofort intensiv nachgehen. Aber
das ist unmöglich. Die Zeit drängt...
Zumal
es auch jenseits der biblischen Überlieferung eine Menge zu lernen und
zu entdecken gilt. Hier auf Masada erst recht. Denn hier erinnert alles
an eine große tragische Geschichte aus dem ersten Jahrhundert nach
Christus: Die Geschichte der letzten
jüdischen Aufständischen im Kampf gegen die Römer.
Masada wurde ursprünglich errichtet im Auftrag von König Herodes I. dem Großen (73–4 v. Chr.), etwa zwischen 40 v. Chr. und 30 v. Chr. Die Anlage diente Herodes einerseits als militärische Befestigungsanlage und andererseits als königliche Sommer- und Gästeresidenz. Mit welcher Dekadenz Herodes und seine Günstlinge hier oben logiert haben! Die dreistufige Palastanlage ist erstaunlich gut erhalten.
Kostbare Mosaiken, farbstarke Fresken: Unzählige beeindruckende Zeugnisse antiker Baukunst und Ingenieursleistung. Die Fülle von Artefakten und Informationen überfordert sogar mich, die ich so leicht nicht genug bekommen kann von dergleichen.
Welch ein Wahnsinn ist das gewesen! Wie viele Sklaven werden hier tagein, tagaus härteste Arbeiten verrichtet haben. Nur damit einige Privilegierte diesen überbordenden Luxus genießen konnten: Elegant gestaltete Speiseräume, erlesene Dinners, eine Bibliothek mit anregender Lektüre, und - das finde ich, setzt allem die Krone auf: Eine Wellnessanlage vom feinsten, inclusive Panoramasauna - mitten in der Wüste!
Aber Masada steht nicht nur für den dekadenten Lebensstil von Herodes und seinesgleichen.
Masada ist vor allem das Symbol für den jüdischen Freiheitswillen. Wenn man das Buch von Professor Yadin liest, spürt man etwas von der geradezu therapeutischen Wirkung der Wiederentdeckung dieses Ortes für die Überlebenden der Shoah.
Während des Jüdischen Krieges ab 66 nach Christus gelang es einer Gruppe von aufständigen Juden, den sogenannten Sikariern, den Römern die Herrschaft über die Festung Masada zu entwinden und sie zu einem Widerstandsnest umzubauen.
Auf dem Foto oben mit dem Mosaikbogen kann man erkennen, dass es den Aufständischen dabei ums nackte Überleben gegangen sein muss. Eine einfache, grob erstellte Mauer ist auf den feinen Fußboden gesetzt worden. Denkmalschutz lag den Widerständlern, verständlicher Weise, völlig fern.
Die jüdischen Guerillakämpfer hatten genug damit zu tun, hier oben mitsamt ihren Familien zu überleben. Und damit von hier aus, so lange es ihnen noch möglich war, gewaltsamen Aktionen außerhalb durch zu führen. Im Grunde, so Nathan, könnte man diese Gruppe mit dem IS vergleichen. In der Tat ist es ja so, ohne den IS verharmlosen zu wollen: Ob jemand als Terrorist bezeichnet wird oder als Freiheitskämpfer kommt bekanntlich immer einzig und allein auf die Perspektive an.
Wie auch immer: Den Sikariern von Masada ist es erstaunlich lange gelungen, hier oben zu überleben und von hier aus zu kämpfen. Dies ermöglichte ihnen nicht nur die strategisch günstige Lage und das ausgeklügelte Kasemattensystem, sondern auch eine unglaublich effektiven Wasserversorgung und die enormen Vorratshaltung der "Vorbesitzer" dieses Ortes.
Im Jahr 73 / 74 nach Christus schließlich haben die Römer begonnen, Masada systematisch zu belagern. Der noch heute nachvollziehbare Aufwand, den sie dabei betrieben haben, zeigt, wie bedrohlich die jüdischen Aufständischen für die Römer gewesen sein müssen.
Der gesamte Fuß des Berges wurde zunächst mit einer Mauer und mehreren Kastellen gesichert. Die Grundrissen dieser nicht ganz zweitausend Jahre alten Militäranlagen sind teilweise heute noch erkennbar. Eine enorm große Belagerungsrampe wurde aufschüttet über die die Festung schließlich eingenommen werden konnte. Aber anderes als erwartet geriet diese Eroberung nicht zum Triumph. Denn oben auf dem Plateau angekommen, erwartete die Eroberer nichts als buchstäbliche Totenstille.
Dem Leben in Unfreiheit hatten die Aufständischen den Tod aus eigener Hand vorgezogen. Das Felsplateau war übersät mit den Leichen von 960 Männer samt Frauen und Kindern. Nur zwei Frauen und fünf Kinder hatten sich der Tötung entzogen und konnten den schockierten römischen Soldaten berichten, was sich zugetragen hatte.
Masada wurde so zum Symbol des unbedingten jüdischen Freiheitswillens. Generationen von jüdischen Soldatinnen und Soldaten sind seit der Staatsgründung 1948 hier oben feierlich vereidigt worden. Inzwischen rücke man von dieser Tradition etwas ab, erklärt uns Nathan, weil das Mittel des kollektiven Suzids von den Verantwortlichen der Armee zunehmen kritisch betrachtet würde.
Während wir Nathan folgen, der uns von einem archälogisch spannenden Punkt führt, komme ich ins Gespräch mit einer Mitreisenden, die in der Palliativmedizin tätig ist.
Wir sprechen über das Aufgeben.
Über den Moment, wenn ein Mensch, der lange und tapfer gekämpft hat, erkennen muss: Ich habe keine Chance mehr. Die Krankheit ist stärker als ich.
Wie mag sich das anfühlen: Kapitulieren müssen vor der Übermacht eines Stärkeren? Dem ich nichts mehr entgegen zu setzen habe?
Was für ein unerwartetes Thema, was für ein gutes, mir kostbares Gespräch! Wir führen viele solcher kostbaren guten Gesprächen in diesen Tagen. Nicht allein mir geht das so. Auch die anderen aus unserer Gruppe machen diese Erfahrung. Ein echtes Geschenk ist das. So etwas lässt sich nicht planen oder herbei zwingen. Sondern nur dankbar annehmen.
Masada - der Ort des erbitterten Freiheitskampfes, ein Ort, an dem es aus zu sein schien für die, die sich hier oben verschanzt hatte. Aber gab es wirklich nur diesen einen einzigen Ausweg, den Tod von eigener Hand?
Nathan erinnert uns an eine andere Geschichte aus jenen Tagen. Eine Gegengeschichte. Eine Geschichte, die mir vertraut ist. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie hier oben zu erzählen.
Aber Nathan hat Recht. Mehr noch: Das ist genial!
Hier auf Masada ist der beste Ort, um an Rabbi Jochanan Ben Sakai zu erinnern.
Rabbi Jochanan war ein Zeitgenosse der Aufständischen von Masada. Er erlebte den Ansturm und die Zerstörungswut der römischen Besatzer nicht hier draußen in der jüdäischen Wüste, sondern im belagerten Jerusalem. Die Römer hatten einen undurchdinglichen Ring um die Stadt gebildet. Kein Bewohner Jerusalems durfte die Stadt verlassen. Die einzige Ausnahme: Wenn jemand gestorben war und begraben werden musste. Weil die Römer den Ausbruch einer Seuche verhindern wollten. Als er die Ausweglosigkeit der Lage erkannte, fasste Rabbi Jochanan Ben Sakai einen verwegenen Plan: Er ließ sich von seinen Schülern in einem Sarg aus der Stadt heraustragen. Für authentischen Leichengeruch sorgte etwas verdorbenes Fleich.
Den Belagerern entkommen gelangte Ben Sakai mit seinen Schülern hoch im Norden in das entlegende kleine Dörfchen Jawne. Dort gründete er ein Lehrhaus. Einen Ort, an dem der jüdische Glaube transformiert wurde. Von einem Glauben, der nur in Verbindung mit dem Tempelkult praktiziert werden konnte, hin zu einem Glauben, der die Tieropfer ersetzt durch Gebet und Lobgesang, durch Taten der Gerechtigkeit und durch das Studium der heiligen Schrift. Rabbi Jochanan hatte einen anderen Weg gewählt als die Sikarier von Masada. Einen Weg, der das Judentum gerettet und überlebensfähig gemacht, es zu neuer Blüte geführt hat.
Wir verlassen Masada. Für den Rückweg nehme ich auch die Seilbahn und genieße ein letztes Mal die großartige Aussicht.
Nach einer kurzen Mittagsrast steigen wir wieder in unseren Bus und fahren wieder zurück Richtung Jerusalem.
Der Himmel hat sich zugezogen: Hoffentlich wird es nicht doch noch zu regnen beginnen....
Das wäre so schade, denn wir haben noch zwei Dinge vor an diesem letzten Nachmittag unserer Reise: Ein kurzer Abstecher nach En Gedi und ein Bad im Toten Meer.
En Gedi - wieder einmal, wie so oft denke ich, dass ich hier gerne einen ganzen Tag verbringen würde! En Gedi was übersetzt wo viel heißt wie "Quelle des Zickleins" ist eine Oase.
Mitten in der Wüste ergießen sich zahlreiche Wasserfälle von hohen Felsen herab. Wie erfrischend das ist! Und weil da, wo Wasser ist, auch etwas wachsen kann, ist es hier herrlich grün.
Alle möglichen Tierarten finden hier seit Jahrtausenden ihr Refugium: Berggazellen, Steinböcke und Klippschliefer. Letztere sehen wir tatsächlich in natura. Es handelt sich um eine Art Murmeltiere. Kleine Nager, die absolut nicht scheu sind.
In den Felsen von En Gedi befinden sich zahllose Höhlen. Ein idealer Ort für Leute, die sich verstecken müssen. Wie der junge David zum Beispiel. Auf seiner Flucht vor dem eifersüchtigen König Saul, der ihm nach dem Leben trachtete.
Nach 1. Samuel 21 - 24 hält sich David in der Gegend von En Gedi auf und sammelt hier einen Trupp junger Kämpfer, die seine Sache unterstützen. Es wäre reizvoll, sich in diese besondere Phase der David-Geschichte zu vertiefen, aber, wie so oft während unserer Reise: Die Zeit drängt.
Eine kleine Szene erlaubte ich mir zu imaginieren. Ohne den Besuch dieses Ortes hätte ich mir das nie so ausmalen können. Einzig die anderen Tourist*innen muss ich dafür vor meinem inneren Auge wegbeamen:
Und dann sehe ich ihn auch schon vor mir:
Den jungen schöne David.
Wie er unter diesem Wasserfall steht und sich eine erfrischende Dusche gönnt.
Der junge schöne David:
Ein wahres Bild von einem Mann.
Durchtrainiert.
Mutig.
Ein Mann mit einer natürlichen Autorität.
Der, wie man (und frau!) weiß,
zugleich feinsinnig ist
und musikalisch.
Ein Mann, von Gott gesegnet und berufen.
Die problematischen Phasen in Davids Biographie,
die Brüche,
sein Scheitern,
all das ist hier in En Gedi noch nicht präsent.
Aber genug geträumt...
Es geht weiter, denn das muss noch sein: Ein letzter von manchen besonders heiß ersehnter letzter Programmpunkt will absolviert werden: Ein Bad im toten Meer.
In der Tat ist dies ein Erlebnis. Dieses absolut ungewohnte, Nicht-wirklich-Schwimmen-können, wegen des starken Auftriebs durch den hohen Salzgehalt im Wasser.
Aber, ich muss es leider sagen, bei allem Spass den wir hatten - ich nehme auch hier an dieser Badestelle vor allem das ökologische Desaster wahr, dass sich am Toten Meer ereignet.
Wie lange wird das überhaupt noch möglich sein in diesem einzigartigen Gewässer zu baden?
Irgendwie wirkt die ganze Badestelle ziemlich herunter gekommen, so als würden ihre Besitzer sie nicht mehr für renovierungswürdig halten.
Als wir wieder im Bus sitzen, wird es schon dämmrig.
Kurz vor Jerusalem beginnt es leise zu tröpfeln.
Das ist er also, der Frühregen, der in Psalm 84 erwähnt wird, meinem Lieblingspsalm.
"... Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen. Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion..."
Als wir am Hotel ankommen, gießt es in Strömen.
Nach dem Abendessen, unserer letzten gemeinsamen Mahlzeit für diese Reise, regnet es immer noch. Zusammen mit einigen Unentwegten wage ich mich trotzdem noch einmal raus. Jede Minute will ich auskosten. Nur noch ein kurzer Gang zum Mahane Yehuda, die Yafo-Street entlang. Die letzten Shekel ausgeben. Wisozki-Tea dafür erstehen, außerdem Cracker und Gewürze.
Wehmütig gehen wir durch die Straßen, werden pitschnass, aber das macht uns nichts aus.
Schließlich müssen wir doch zum Hotel zurückkehren.
Es hilft ja nichts. Auch die schöneste und ersehnteste Reise endet einmal.
Jetzt heißt es Koffer packen.
Möglichst noch ein bisschen schlafen.
Bis der Wecker klingelt.
Um drei Uhr morgens müssen wir am Flughafen sein.
Und zwar um drei Uhr morgens nach neuer Zeit.
Denn, ach Du Schreck, gut, dass wir es mitbekommen haben: Heute Nacht werden hier in Israel die Uhren umgestellt. Um Punkt zwei müssen die Zeiger um eine Stunde zurück gestellt werden.
Wann müssen wir denn dann aufstehen? Wann hier aufbrechen?
Wir rechnen hin und her - und obwohl wir so viele Lehrerinnen und Lehrer in der Gruppe haben: Eine gewisse Verunsicherung bleibt bis zuletzt.
Aber, um es kurz zu machen: Alles klappt perfekt.
Wir sind pünktlich am Flughafen, haben einen guten Flug, in Frankfurt wartet bereits der Siegener Reisebus auf uns. Um die Mittagszeit sind wir wieder zuhause.
Übermüdet, dankbar und glücklich.
Auch wenn es erkältungsmäßig die eine oder den anderen ziemlich erwischt hat.
Jetzt heißt es: Wieder ankommen im Alltag.
Die vielen Eindrücke verarbeiten.
Was nicht ganz leicht wird.
Denn diese Reise war keine gewöhnliche Reise.
Sie war außergewöhnlich. Außergewöhnlich gut. Sehr wesentlich verdanken wir dies unserem Guide Nathan Landau, der einfach nur großartig war. In jeglicher Hinsicht! Ich habe, glaube ich, noch nie jemanden (so junges zudem!) getroffen, der so umfassend gebildet ist wie er. Derart didaktisch fit, menschlich angenehm im Umgang, liebenswürdig, humorvoll.... Und in der Lage, die Dinge differenziert darzustellen. Nathan ist jüdischer Israeli mit Leib und Seele. Einer, der sich in der Friedensbewegung engagiert. Der für die Verständigung mit den Palästinensern wirbt. Weil er sich nach echten Frieden sehnt, nach Schalom. Gerade weil er sein Land liebt.
Wer mehr wissen möchte über Nathans Sicht auf den Konflikt und mögliche Lösungen, kann hier seinen Beitrag auf der Internetseite "Combatants for peace" lesen. In dem hier beschriebenen friedensstiftenden Geist hat Nathan uns sein Land gezeigt und unseren Horizont geweitet. Dafür sind wir ihm zu großem Dank verpflichtet!
Wer auch immer sich mit dem Gedanken trägt, nach Israel zu reisen oder gar eine Reisegruppe dorthin zu führen: Schaut Euch sein Profil an, nehmt Kontakt mit Nathan auf - ihr werdet es nicht bereuen!
Nein, diese Reise war keine gewöhnliche Reise.
Auch weil diese Gruppe keine gewöhnliche war.
Deshalb, zum Ende meines Reise-Blogs:
Liebe Mitreisende,
ich vermisse Euch alle so sehr!!!
Aber wenn ich die Einträge in unserem Gruppenchat lese, stelle ich fest: Da bin ich nicht die einzige.
Von daher freue ich mich jetzt einfach auf unser Nachtreffen.
Und - vielleicht - wer weiß?!
Auf eine Reise "Israel 2.0 - Israel für Fortgeschrittene"?
Während wir aufs Boarding gewartet haben in Tel Aviv haben wir jedemfalls schon mal angefangen Pläne zu schmieden.....
Schalom, Ihr Lieben! Es war unvergesslich schön mit Euch!
Eine kleine Bemerkung zumSchluss:
Unser Reisebüro, die Reisemission Leipzig, können wir nur empfehlen! www.reisemission-leipzig.de
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