22.10.19 Haifa, Tel Aviv, Ankunft in Jerusalem

22.1019: Der Tag heute beginnt mit einem prächtigen Sonnenaufgang und mit einem Abschied, dem Abschied vom See Genezareth. Wehmütig und zugleich zutiefst dankbar verlasse ich diesen Ort. Von frühster Kindheit an haben mich die Jesus-Geschichten in Gedanken dorthin reisen lassen. Nun war ich selbst da. Ich fühle mich reich beschenkt!


Wir fahren mit dem Bus nach Haifa, zum Karmel hoch und machen Station bei Stella Maris, einem Karmelitenkloster. Nathan erinnert an die Geschichte der Karmeliterin Edith Stein, einer Philosophin und Frauenrechtlerin, die als Jüdin 1942 in Ausschwitz ermordet worden ist. Geschichten wie die ihre haben in der jüdischen Welt das Gefühl verstärkt: "Wir brauchen eine sichere Heimstatt für das jüdische Volk. Ganz gleich, was wir tun: Ob wir uns anpassen oder uns separieren: Wir sind nirgends sicher vor Vertreibung, Unterdrückung und Vernichtung. Wir brauchen - unbedingt - einen eigenen Staat".


Vor dem Portal von Stella Maris, befindet sich ein Denkmal zu Ehren der Soldaten Napoleons, die während seines Ägyptenfeldzug gefallen sind. Die lateinische Inschrift: "Wie sind die Helden gefallen im Streit" (aus dem Klagelied David nach dem Tod von Saul und Jonathan).

Was Silke und mich stutzig macht ist die Angabe der Bibelstelle: 2. Reg. 1, 25.


Nathan erklärt dieses Phänomen mit der unterschiedlichen Einteilung der jüdischen und christlichen Bibelausgaben. Silke und ich schlagen nach: Die korrekte Angabe wäre 1. Samuel 1, 25. Da stimmt doch etwas ganz und gar nicht! Wir fragen uns: Wollen wir das so stehen lassen? Nein... und weil wir absolut überzeugt sind von unserer Einschätzung korrigieren wir die Bibelstellenangabe auf dem Denkmal mit einem selbstgebastelten Post-it (keine Sorge: Die Aktion war völlig zerstörungsfrei).

Aber Nathan ist überhaupt nicht zufrieden. Er glaubt uns nicht... Also konsultieren wir per Whatsapp einen Experten aus Siegen. Der schaut für uns in die Quellen und entdeckt des Rätsels Lösung. Wohl geben uns die Biblica Hebraica und die uns geläufigen deutschen Übersetzungen Recht. Zitiert ist der Vers auf dem Denkmal jedoch offensichtlich nach der Vugata, der lateinischen Bibel. Deren Übersetzungsgrundlage war jedoch nicht die Hebraica, wie es z.B. bei der Lutherübersetzung der Fall war. Grundlage für die Vulgata war die Septuaginta. Die wiederum eine (ursprünglich jüdische) Übersetzung der Hebraica ins Griechische ist, unverkennbar geprägt vom Hellenismus. U.a. wurde bei der Übersetzung ins Griechische die traditionelle hebräische Einteilung der Bücher verändert. Aus dem 1. Buch Samuel der Hebraica wurde das 1. Buch der Könige der Septuaginta. Das 2. Samuelbuch wurde umbenannt in das 2. Buch der Könige und das 1. Buch der Könige zum 3. Buch der Könige, das 2. Buch der Könige ins 4. Buch der Könige. Nathan hatte also Recht, als er unsere Analyse bezweifelte.

Wen interessiert das? Vermutlich nur eingefleischte Bibelfreaks wie unseren Siegener Experten, Nathan, Silke oder mich.

Womöglich handelt es sich bei dieser kleinen Episode auch um einen etwas ungelenken Versuch, unbewusst die Geschichte vom "Prophetenwettstreit" auf dem Karmel aus 1. Könige 18 (gezählt nach der Hebraica - nicht nach der Septuaginta!) zu reinszenieren. Denn genau diese Geschichte (Elia und die Baalspriester) hat sich auch eben dort auf dem Karmel zugetragen.

Nach dem Besuch des Klosters Stella Maris geht es weiter zum Bahaitempel. Von dort oben aus hat man einen herrlichen Blick auf die Bucht von Haifa und die Hafenlage. Wir sprechen über Theodor Herzl und sein 1902 erstmals erschienenes Buch "Altneuland", das ungeachter seiner eher mässigen literarischen Qualität prophetischen Charakter bewiesen hat. Blühende Gärten, prachtvolle Villen, eine prosperierende Industrie... als das beschreibt Herzl als eine Vision für Haifa und das ganze Land. "Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen".


Haifa steht, darauf weist uns Nathan hin, allerdings nicht nur für die Erfüllung des zionistischen Traums.

In Haifa lebten zur Zeit des Krieges von 1948 viele Araber. Nach dem Krieg sank der arabische Bevölkerungsanteil drastisch. Nach arabische Geschichtsschreibung erklärt sich dies durch eine gewaltsame Vertreibung durch die Israelis (arab.: "Nakba", d.h. "Katastrophe").

Die Israelis berichten hingegen, dass die arabischen Nachbarstaaten die arabische Bevölkerung des neugegründeten Staates aus Haifa weggelockt hätten mit dem Versprechen, man werde die Juden bald wieder vertrieben haben. Was einfacher sei, wenn sie als Einheimische für eine gewisse Zeit das Schussfeld räumen würden. Als dieser Plan nicht aufgegangen sei, sei die Enttäuschung gross gewesen. Und man habe dem Feind die Verantwortung für den Verlust der Heimat im Nachhinein in die Schuhe geschoben.

Die ganze Geschichte zeigt, leider: So harmonisch und friedvoll sich die Ideen der Bahai auch anhören mögen:

Harte Konflikte lösen, Feindschaft überwinden, Versöhnung bewirken, wirklich Frieden, Shalom, schaffen ist ungleich schwerer als akurate Blumenbeete anlegen und Marmorspringbrunnen sauber halten.

Entlang der Mittelmeerküste fahren wir auf dem Highway number 6 bis Jaffa.


In flirrender Mittagshitze kommen wir an und werden empfangen vom lärmenden, geschäftigen Flair dieser wunderschönen orientalischen Hafenstadt.

Silke und ich besorgen uns in der laut Silke "besten Bäckerei Jaffas" ein leckeres gefülltes pikantes Gebäckstück und verzehren es genüsslich, während wir uns über das Hafengelände und durch die engen Gässchen treiben lassen.


Überall in den Winkeln lassen sich kleine Kunstgalerien und ausgefallene kleine Läden entdecken.


Oberhalb des Hafens befindet sich die Kirche St. Petrus.


Sie erinnert mit ihrer ungewöhnlichen Ausrichtung nach Westen, Richtung offenem Meer, an die Begebenheit aus Apostelgeschichte 10, wo Petrus hier in Jaffa, im Haus von Simon, dem Gerber, eine Vision hat. Er sieht ein mit unreinen Tieren gefülltes Tuch vom Himmel herabkommen. Er hört eine Stimme: "Petrus, schlachte und iss!"  Petrus versucht sich dieses Ansinnens zu erwehren. Als Jude darf er keine unreinen Tiere, etwa Krabben und Krebse, Schweine etc. essen. Aber die Stimme ertönt ein zweites Mal: "Was Gott rein gemacht hat, sollst du nicht unrein nennen."   Kurz darauf wird Petrus zu einem römischen Hauptmann gerufen, der offenbar sehr fasziniert ist vom Gott Israels und gerne mehr über ihn erfahren möchte. In diesem Augenblick, in Jaffa (bibl. manchmal auch Joppe genannt), als Petrus zu Cornelius geht, öffnet sich für die Nichtjuden und damit auch für uns ein freier Zugang zum Gott Israels. Ohne alle Regeln des Judentums übernehmen zu müssen.

So viel gäbe es noch zu erzählen über Jaffa. Das z.B. Jona von hier aus vor Gottes Auftrag floh. Und von Tabita, der wunderbaren Jesus-Jüngerin, die so viel Gutes tat und die unter dem Gebet von Petrus von den Toten erwachte (Apg. 9, ab Vers 36).

Und über Tel Aviv, die Frühlingsstadt, die so quicklebendig und säkular, so modern und hipp ist, liesse sich auch noch vieles sagen. Aber so langsam geht mir die Puste aus nach diesem langen Tag.

Auf der Autobahn entlang der Küste sind wir gegen Abend Richtung Jerusalem gefahren. Ein irres Gefühl.... Jerusalem! Die Stadt Davids, die Stadt, in der Jesus gekreuzigt wurde und auferstand! Ihren Namen auf einem ganz normalen Stassenschild zu lesen ist toll!



Wie einen Ohrwurm habe ich die ganze Zeit über den Vers aus Psalm 122 im Ohr:

"Nun stehen unsere Füsse in deinen Toren, Jerusalem" (Psalm 122, 2)

Und nach unserem ersten Gang die Yaffo-Street herunter und einem kurzen Besuch im Mahane Yehuda, wo gerade der Schabbat zu Ende gegangen ist, möchte ich hinzufügen:

Mahaneh Yehuda Markt 

"... und unsere Augen wundern sich über deine bunte Vielfalt und unsere Ohren müssen sich erst einmal gewöhnen an den Lärm der vielen Menschen und unsere Nasen an die fremden, aber köstlichen Düfte von Gewürzen und unbekannten Speisen...."

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