25.10.19 Bethlehem, Kabbalat Schabbat Synagoge

25.10.19: Auf unserer Fahrt nach Bethlehem sprechen wir zunächst noch einmal über die Begegnung gestern Abend mit Josef A., dem ultraothodoxen Rabbi. Daran werden die meisten von uns, ich auf jeden Fall, noch ein Weilchen zu knacken haben....

Es ist nicht weit von Jerusalem nach Bethlehem. Nur ungefähr zehn Minuten, dann haben wir den Checkpoint erreicht.


Wie wird sich das anfühlen, die Grenze zu passieren? Wird man uns kontrollieren, wie lange werden warten müssen?

Die Antwort lautet: Alles verläuft denkbar unkompliziert. Sowohl bei der Ein-, als auch bei der Ausreise. Die Foto sind alle bei der Ausreise aufgenommen worden (so schnell ging alles bei der Einreise).

Dass es so einfach geht, liegt wahrscheinlich daran, dass es zurletzt keine besonderen Vorkommnisse gegeben hat hier an der Mauer. Ich hatte mir das Prozedere jedenfalls umständlicher vorgestellt. Nicht nur für uns, sondern für alle anderen, die die Grenze ebenfalls passieren wollen. Zumindest auf eine längere Wartezeit hatte ich mich eingestellt. Aber es geht alles ganz schnell. Wie ein Grenzübertritt früher an der Grenze nach Österreich oder zur Schweiz hin.


Aber mir ist schon klar: Diese Situation kann sich von jetzt auf gleich ändern. Die Grenzanlage an sich hat schon etwas Beeindruckendes. Auch wenn die Mauer nicht überall eine Mauer ist, sondern teilweise einfach ein hoher Zaun.


Ich bin mir meiner Parteilichkeit für die Israelis bewusst. Und bin mir auch im Klaren darüber, dass sich die Situation für die Palästinenser sehr viel anderes, sehr viel problematischer darstellt, als ich mir vorzustellen in der Lage bin.

Aber - ist es nicht so? - die Mauer sorgt für Ruhe. Das immerhin tut sie. Und wenn man bedenkt wie aufgeladen, wie permanent- latent gefährlich die Situation vorher war (für Israelis und Palstinenser...), dann ist diese Trennung trotz allem ein wichtiger Schritt, um diesen festgefahrenen Konflikt im wahrsten Sinne des Wortes zu be-grenzen. Aber echter Friede sieht natürlich anders aus.

Und dann sind wir auch schon in Bethlehem!


Wie singt unser Siegener Bach-Chor so schön?

"O Bethlehem, du kleine Stadt, wie stille liegst du hier, du schläfst, und goldne Sternelein ziehn leise über dir. Doch in den dunklen Gassen das ewge Licht heut scheint für alle, die da traurig sind und die zuvor geweint" ...

Nun ja.

Bethlehem dürfte einer der bizarrsten Orte sein, die ich je besucht habe. Überraschung Nummer eins: Das Riesenparkhaus am Ortseingang, ein Parkhaus, groß genug für eine ganze Armada von Reisebussen. Vom Parkdeck aus führt eine Rolltreppe hinauf ins Freie. Es riecht unangenehm hier, wie in vielen Parkhäusern dieser Welt. Alles ist weihnachtlich dekoriert. Nachlässig, angeranzt zwar, aber konsequent. Na, das kann ja heiter werden!




Und richtig: Wie bereits von Insidern berichtet, muss man sich in Bethlehem auf einen beträchtlichen ganzjahresweihnachtlichen, religiösen Rummel gefasst machen. Dass die Menschen, die in Bethlehem wohnen, versuchen, von dem gigantischen touristische Kuchen möglichst ein ordentliches Stück abzubekommen, ist sehr verständlich und absolut nachvollziehbar.

Über die routiniert-pseudolustige Art des arabischen Guides, der uns in Bethlehem führt, trösten einige Entdeckungen hinweg, die wirklich originell sind: Auf die Idee, ein Cafe "Star and Bucks-Cafe" zu nennen, zum Beispiel, muss man erst einmal kommen!

A propos arabischer Guide: Nathan darf als israelischer Guide keine Gruppen in Bethlehem führen. Umgekehrt ist es auch schwierig. Das Gute an dieser Regelung ist: Wir lernen einmal mehr zu schätzen, dass wir von Nathan begleitet werden und nicht von irgendjemandem, der uns, wie dieser arabische Guide, ziemlich gelangweilt und zusammenhangslos mit Jahreszahlen und irgendwelchen Details zutextet.

In der Geburtskirche angekommen, treffen wir eine strategische Entscheidung: Ein Teil der Gruppe stellt sich schon einmal an für die Besichtigung der Geburtsgrotte. Der andere Teil besichtigt während dessen den oberirdischen Teil der Kirche. Später soll dann getauscht werden. Aber irgendwie gelingt es nur bedingt, diese Idee in die Tat umzusetzen. Irgendwann stehe ich dann aber tatsächlich in der Schlage für die Grottenbesichtigung. Wenn schon denn schon, denke ich mir ....

Habe ich je schon einmal so dicht gequetscht irgendwo angestanden? Ich glaube kaum. Mein Vordermann, ein Lehrer aus unserer Gruppe, und ich vertreiben uns die Zeit mit einem Gespräch über Fridays-for-Future und wie man am besten als Lehrer*in oder Schulleiter*in darauf reagieren sollte (schulfrei geben für die Demos oder nicht?). Das Thema passt eindeutig nicht zur Situation. Aber es hilft, die Wartezeit zu überbrücken.

In der Krypta angekommen, schauen wir uns erst einmal die Tafeln an, die an den Heiligen Hironymus erinnern, der um das Jahr 386 n. Christus hierher kam, um seine lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, zu beenden. 




Das Gedränge und Geschiebe wird immer heftiger und die Umgebung beengter und höhlenartiger, je näher wir dem religiösen Glutkern dieser Kirche kommen: Der Geburtsgrotte mit dem auf dem Boden eingelassenen Silberstern, dem angeblichen Ort der Geburt Jesu und dem Ort, wo die Krippe gestanden haben soll. Die Luft ist zum Schneiden. Ich versuche, den Gedanken zu verdrängen, wie viele Keime hier wohl herumschwirren.

Und dann sind wir auch schon da: "Here is the place, where Christ was born" schreit eine Art Aufpasser.



Die vor mir nach vorne Drängenden sinken auf ihre Knie. Berühren ergriffen den silbrigen Stern, manche küssen ihn gar. Flüchtig nur, denn stille Andacht ist hier nicht vorgesehen.  Kaum hat sich mein Vordermann wieder aufgerappelt, werden wir auch schon weiter geschubst.

"Here is the Place of the holy manger!" schreit ein anderer Guide. Nur mit Mühe gelingt es mir rasch ein, zwei Fotos zu machen.



Puh, geschafft! Wir sind alle froh, als wir wieder Tageslicht sehen und sauerstoffgesättigte Luft einatmen können!

Aber schon wartet der nächste weihnachtliche Gedächtnisort auf uns: Die Hirtenfelder von Beit Sahour, ein Dorf weiter. Hier sollen die Hirtenfelder liegen, wo Engel den Hirten die Nachricht vom neugeborenen Kind in der Krippe verkündigt haben sollen.



Auch hier erinnert eine Kapelle an die Bedeutung des Ortes. Es ist nicht ganz so viel los hier, im Vergleich zur Geburtskirche. Und doch: Dieses Schild sagt eigentlich alles....

 

Aber es gibt nicht nur die Kapelle als Ort für Einkehr und Andacht. Selbst für Pilger*innen unserer konfessionellen Prägung gibt es Alternativen. Wir finden eine kleine Sitzgruppe, in der Mitte eine Art steinerner Tisch, um den herum wir uns niederlassen.


In Sichtweite einer anderen Gruppe, offenbar aus Südamerika und mit vermutlich pfingstlerisch-charismatischem Einschlag, hören wir die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2 und singen "Hört der Engel helle Lieder".

In der Ferne ist die Mauer zu sehen.

"Friede auf Erden!"  klingt es in mir nach.


Wenn doch diese Engelsbotschaft endlich gehört und umgesetzt werden würde! Auch und gerade hier, an diesem Ort!

Aber in Bethlehem trägt die Friedenstaube vorerst eine schusssichere Weste. So ist sie zu sehen auf einem sogenannten Mural von Banksy an der Durchgangsstraße in Bethlehem. Leider nur in minderer Qualität aus dem fahrenden Bus heraus fotografiert. Wer mehr sehen und erfahren möchte, kann sich hier über den Streetart-Künstler Banksy und seine Bethlehem-Murals infomieren und Fotos davon ansehen, in besserer Qualität.


Kunst, die sich ebenfalls mit der Mauer in Bethlehem befasst, treffen wir an einem Ort an, wo ich mit ernsthafter Kunst überhaupt nicht gerechnet hätte: In einem der großen Souvenier-Shops, die wir, offenbar zwingend, warum auch immer, besuchen müssen. Angeboten wird neben den üblichen Devotionalien, - natürlich -  jede Menge Olivenholzschnitzwerk. Krippen und Krippenfiguren, so weit das Auge reicht.

In einem Regel auf Schienbeinhöhe, man sieht es nicht auf den ersten Blick, entdecken wir diese Krippe:


In der Tat: Heute wäre es vermutlich nicht möglich, dass Besucher aus dem Irak einfach mal so spontan vorbei schauen könnten in Bethlehem....

Aber der Besuch der drei Magier aus dem Osten führt auch in der Bibel zu politischen Verwicklungen und sogar zu einem der fürchterlichsten Masssaker, die man sich vorstellen kann: Dem Kindermord von Bethlehem nach Matthäus 2, 16 - 18. Dass quellenkritische Theolog*innen der Meinung sind, dass dieses Massaker nicht stattgefunden haben kann, ist ein schwacher Trost. Hoffentlich haben sie Recht!


Wir fahren zurück nach Jerusalem. Einige von uns lassen sich am Damaskus-Tor absetzen und verbringen den restlichen Nachmittag auf eigene Faust in der Altstadt.

Ich möchte gerne noch den Saal des letzten Abendmahls sehen. Zusammen mit einer lieben Reisegefährtin mache ich mich auf den Weg. Leider ist es hier, wie so oft, vollkommen überlaufen. Schade, aber es ist nicht zu ändern.

Wir gehen ein Stück oben auf der Stadtmauer und genießen die Aussicht. Dann gehen wir durch das armenische Viertel der Altstadt Richtung jüdisches Viertel, wo eine ziemliche Hektik spürbar wird. Klar doch! Stimmt! Der Schabbat steht vor der Tür! Die Leute hasten umher, um letzte Besorgungen zu machen. Uns fällt die Sache mit dem Schofarhonbläser ein, von dem Nathan erzählt hat. Wäre doch toll, wenn wir ihn erleben könnten. Also nicht wie los, Richtung Mahane Yehuda!

Aber mit der Eile ist es so eine Sache. Die Pflastersteine aus dem hellen Jerusalemer Sandstein sind auch bei  Trockenheit schon glatt genug. Nun beginnt es auch noch zu regnen. Der Boden wird spiegelglatt und zwingt uns langsam zu gehen.


Auf dem Markt angekommen steigert sich die vorschabbatliche Betriebsamkeit zu einer unglaublichen Hektik.


An allen Ständen üben sich die Händler in dem Spagat, einerseits noch möglichst viele Waren loszuwerden und andererseits den Stand pünktlich abgebaut zu bekommen. Wir halten Ausschau, ob wir irgendwo den Schofarhornbläser sehen oder hören. Aber wir haben kein Glück.


Rasch ersteht meine liebe Reisegefährtin noch einen allerletzten frischen Granatapfelsaft. Sie hat eine unerklärliche Liebe zu diesem Getränk entwickelt und lässt keine Gelegenheit aus, ihn zu genießen - was ja nicht weiter schädlich sein wird.

Mittendrin im Gedrängel entdecken wir Rabbi Josef, begleitet von einem kleinen Jungen, der ebenfalls schon Schläfenlocken trägt und eine kleine Kippa. Irre, mitten in diesem Gedrängel einen Jerusalemer Bürger zu treffen, den wir kennen! Auch wenn er nicht unbedingt unsere volle Sympathie gewinnen konnte. Rabbi Josef erkennt uns tatsächlich auch wieder. Wir bleiben stehen, begrüßen uns und wechseln einige Worte, um uns schließlich mit einem wechselseitigen freundlichen "Schabbat Schalom" voneinander zu verabschieden. Wo der Schofarhornbläser abgeblieben ist, wusste auch Rabbi Josef nicht zu sagen. Irgendwo dort hinten, zeigt er vage in eine bestimmte Richtung. Wir ändern daraufhin unsere Route. Aber es bleibt dabei: Wir treffen den Schofarbläser nicht.


Ein kleiner Jungen auf dem Mahane Yehuda

Nach und nach werdend die Läden und Marktstände mit schweren Rollos abgeriegelt. Eines davon zeigt den Tierfrieden nach Jesaja 11, 6 - 8


Wenn der Messias kommt, dann wird ...

"... der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind".


Der Messias. Der Kommende, sehnsüchtig Erwartete und vorerst noch Ausbleibende. Der auf seine Art trotz allem allgegenwärtig ist hier. An jeder Straßenecke, buchstäblich.


Während wir noch unterwegs sind auf der Yaffo-Street, zu Fuß Richtung Hotel, ebbt die Hektik rund um uns ab. Von einem Augenblick auf den anderen senkt sich eine unaussprechliche Ruhe auf die Stadt.

Der Autoverkehr kommt beinahe zum Erliegen, es sind kaum noch Menschen unterwegs auf dem Bürgersteig und wenn, dann gehen sie ohne Eile. 

Feiertagsstimmung. Von jetzt auf gleich. Als wäre ein Schalter umgelegt. Verrückt. 

Auch die Straßenbahn hat den Verkehr eingestellt: "Service finished": Dienst beendet.

Schabbat Schalom! 



Im Hotel angekommen, machen wir uns fein und fahren gemeinsam zur Synagoge Har-El (Berg Gottes), einer Reform-Synoagoge, gegründet von Schalom Ben Chorin. Es ist die Synagoge, zu der auch Ruth, eine Jerusalemer Freundin von Silke gehört.


Hier nehmen wir Teil an einer Kabbalat-Schabbat-Feier, mit der der Schabbat feierlich begrüßt wird.

Die Männer unserer Gruppe tragen artig ihre Kippot. Sie wirken damit irgendwie würdiger, finde ich. Auch wenn sie eben im Bus, beim Verteilen und Anprobieren noch ziemlich herumgealbert haben. Die ungewohnte, nur lose sitzende Kopfbedeckung zwingt sie, sich besonders gerade zu halten. Kein schlechter Effekt!

In der Synagoge werden wir sehr freundlich begrüßt. Wir bekommen eine deutsche Übersetzung der Liturgie überreicht, die uns hilft, uns ein wenig zu orientieren.

Irgendwie fühle ich ich seltsam heimisch hier. Vielleicht auch, weil das Ambiente mich an unsere etwas in die Jahre gekommenen evangelischen Gemeindehäuser erinnert. Oder, nein, vielmehr noch: An die familäre und doch auch feierliche Atmosphäre der freikirchlichen Gemeindesäale meiner Kindheit.

Der Gottesdienst beginnt. Geleitet wird er von einer Rabbinerin in meinem Alter und einer außerordentlich begabten jüngeren Kantorin. Die beiden tragen ebenfalls Kippot und schöne Gebetsschals.

Heute, am ersten Schabbat nach Simchat Tora beginnt der Lesezyklus mit Genesis 1: "Bereschit barah Elomhim.... "

Nach dem ganzen Trubel der letzten Tage ist die Ruhe hier ganz ungewohnt.

Gesänge und Lesungen lösen einander ab.

Einzelne hebräische Worte erkenne ich wieder. "Baruch atta Adonai Eloheinu, Melech ha olam..." 

Ansonsten überlasse ich mich dem wunderschönen Klang der Worte und Melodien.  

Ich bin so dankbar, hier sein zu dürfen. Dies alles erleben zu können.

Einfach nur dankbar.




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