21.10.19 Beth Alfa und Nazareth

21.10.19: Heute besuchen wir als erstes Beth Alfa, etwa 9 km entfernt von Beth She'an gelegen. In Beth Alpha werden wir ein außergewöhnlich gut erhaltenes Bodenmosaik sehen, das vor nicht ganz 100 Jahren zufällig beim Pflügen gefunden worden ist. Auf den Weg nach Beth Alfa fahren wir am Berg Tabor vorbei, dem Berg der Verklärung Jesu (nach einer anderen Theorie könnte dafür auch der Berg Hermon in Frage kommen).


Auf dem Gelände der alten Synagoge von Beth Alpha gibt es - natürlich - auch eine Sukka. Jetzt am Morgen fällt das Sonnenlicht durch die Ritzen. Nachts wird man von hier aus sicherlich die Sterne gut beobachten können.


Wir betreten das Innere der Synagoge, bzw. des modernen Gebäudes, das den wertvollen Fussboden und somit die Überreste der Synagoge von Beth Alfa aus dem 6. Jahrhundert schützt. Staunend betrachten wir das unglaublich gut erhaltene Mosaik. Wir bekommen einen kleinen Film vorgeführt, in dem versucht wird die Ursprungsgeschichte dieses Kunstwerks zu rekonstruieren.

Die Geschichte finde ich anrührend schön: Eine einfache jüdische Landgemeinde legt sich so richtig ins Zeug, um ihre Synagoge so kunstvoll und beeindruckend wie möglich auszuschmücken. Dabei versucht sie, mit der Zeit zu gehen. Denn welche Erklärung gäbe es sonst für die Heliosdarstellung und die Sternkreiszeichen als Schmuckelemente in einem jüdischen Gotteshaus? Andererseits ist man wohl auch sehr traditionsbewusst: Prominent dargestellt ist z.B. die Geschichte der Bindung Isaaks aus Genesis 22.

Wie auch immer: Die offenbar aus der Region stammenden Kunsthandwerker Marianos und  sein Sohn Hanina (ihre Namen haben sie im Mosaik verewigt) müssen ziemlich ambitioniert gewesen sein. Trotz erkennbarer Mängel, wie z.B. recht ungelenk gestalteten Proportionen. Spannend vor allem, dass die Verantwortlichen der Synagogengemeinde damals bereit waren, das biblische Bilderverbot derart offensichtlich zu lockern.


Auf unserem Weg weiter nach Nazareth fahren wir am Berg Gilboah vorbei. Hier befragte König Saul eine Wahrsagerin, die sogenannte "Hexe von En Dor" (1. Samuel 28) vor der entscheidenden Schlacht, bei der er und sein Sohn Jonathan ihr Leben verloren haben.


Hier in der Gegend haben neben Saul und Jonathan auch noch andere grosse israelitische Helden gelebt. Sisera, zum Beispiel, der kanaaänischen Feldherr, stammte aus dieser Region. Ebenso wie Barak und die Richterin Debora. Die vorhersieht, dass Sisera, der Tyrann, der den Israeliten das Leben zur Hölle macht, nicht durch einen starken Mann, sondern durch die Hand einer mutigen Frau getötet werden wird. Und so geschieht es schließlich auch. Yael ist nicht gerade zimperlich, was die Wahl ihrer Waffen betrifft (nachzulesen in Richter 4 und 5). Habe vor längerer Zeit über diese Geschichte gepredigt und versucht, mir die Szenerie vorzustellen. Igitt.... Faszinierend der Gedanke: Hier also soll sich all das zugetragen haben... 

Nathan macht uns bewusst: Für Jesus werden diese Heldengeschichten nicht irgendwelche Geschichten von irgendwo "hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen" gewesen sein. Sondern Geschichten, mit denen er aufgewachsen ist, die ihn unmittelbar angingen.

Wie heißen eigentlich die Helden und Heldinnen meiner Kindheit und Jugend?
Habe ich heute noch Helden und Heldinnen?

Fragen, über die nachzudenken sich lohnt.


In Nazareth besuchen wir zunächst die griechisch-orthodoxe Gabrielskirche. Hier, wo einst der Brunnen von Nazareth war, soll  Maria nach orthodoxer Überlieferung dem Engel Gabriel begegnet sein. Auf dem Marktplatz ist ganz schön was los. Nicht ganz leicht, die Bilder aus der Kinderbibel von Maria und dem Engel Gabriel zusammen zu bringen mit dem lauten orientalischen Treiben auf diesem Platz. 

Weiter geht es, auf unserem Plan für heute steht noch die deutlich grössere katholische Verkündigungskirche.


Dort angekommen, umfängt uns sofort wieder ein ziemlicher religiöser Trubel. Ich merke, dass ich innerlich auf Abstand gehe. Ganz sicher werden solche Stätten auf Menschen, die eine andere geistliche Prägung erfahren haben als ich, durchaus erhebend wirken. Aber ich kann mir nicht helfen, ökumenischen Weite hin oder her: Ich finde ich den Gedanken bedrückend, wieviel Schindluder im Laufe der Zeit mit einem immer stärker moralisch überfrachteten Marienbild getrieben worden ist. Wie viel Unrecht, gerade Frauen gegenüber, ist mit dem Hinweis auf Marias angebliches Vorbild gerechtfertigt worden.

Nathan gibt uns eine jüdische (eine biblische!) Perspektive auf das über dem Portal angebrachten Jesajazitat: "Siehe, eine Jungfrau / junge Frau (hebr.: alma) wird schwanger sein und einen Sohn gebären, dem werden sie den Namen Immanuel geben, das heisst: Gott mit uns" (Jesaja 7, 14).

Hier wird, in einer ganz bestimmten geschichtlichen Situation, die Hoffnung wachgehalten auf die Ankunft eines Königs, der gerecht regieren wird. Und "alma" bedeutet schlicht und einfach "junge Frau". Was nicht zwingend verbunden ist mit dem, was heute landläufig unter "Jungfräulichkeit" verstanden wird. Nathans gelehrter Blick ins Alte Testament tut mir gut inmitten dieses gefühlig-frommen Rummels (liebe Reisegefährt*innen, die ihr diesen Ort womöglich völlig anders, sehr viel positiver erlebt haben mögt - verzeiht mir bitte, aber Ihr wisst: ich bin gelernt Calvinistin...). 

Was hilft es? Nun bin ich einmal hier. Also versuche ich, mich einzulassen auf diesen Ort. Ein wenig ziellos streife ich durch die Kirche und betrachte die vielen Mariendarstellungen. Gibt es eine, die mich besonders anspricht?

Diese hier fällt mir besonders ins Auge:


Diese Maria gefällt mir. Trotz Himmelköniginnen-Sternen-Diadem hat sie etwas von der eigentlichen, der gaäliäischen Mirjam. Denn "Maria" wird die Mutter von Jesus zu Lebzeiten wenn überhaupt, dann wohl nur höchst selten genannt worden sein.

Ich betrachte die Statue und muss an Marias Lobgesang aus Lukas 1 denken.

Und an die umstrittene Christnacht-Predigt der Schweizer Pfarrerin Maja Zimmermann-Güpfert. In der sie das von Maria nach Lukas 1 selbstgewählte Bild von der Erhöhung der Erniedrigten wörtlich nimmt. Denn "erniedrigt", das sind nach biblischem Sprachgebrauch eben auch vergewaltigte Frauen. Und war Israel zur Marias Zeit nicht ein besetztes Land?

Solche Gedanken verstören. Erscheinen ungeheuerlich. So ungeheuerlich, dass die Schweizer Pfarrerin 2013 nach ihrer Predigt im Berner Münster am Ausgang beim Händeschütteln von einem erbosten Gottesdienstbesucher gar eine Ohrfeige bekommen hat.

Wer kann schon wissen, wie alles wirklich gewesen ist?

Maja Zimmermann-Göpferts Blick auf Maria, die von Gott ihre Würde zurück bekommt,
ist jedenfalls mit mir gegangen, seit ich davon gehört habe. Und gerade hier, in der Verkündigungskirche in Nazaraeth muss ich wieder daran denken. 

 
Da steht sie, die Mirjam-Maria mit ihrem Sternen-Diadem.

Was auch immer in ihrem jungen Leben vorausgegangen sein mag.

An Entwürdigung.
Und Erniedrigung.

Jetzt zählt nur noch das: 

Gott hat sie erwählt und berufen.

Und sie hat sich entschieden.

"Siehe, ich bin Adonais Magd", hat sie gesagt.

Ja, ich bin bereit.

Bereit für das Schöne und für das Schwere.

Ich bin bereit, meinen Platz einzunehmen, den Gott für mich vorgesehen hat in seinem großen Plan. 


Und Mirjam sang dieses Lied:

Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan, 
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht
bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron 
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. 

(Lukas 1, 46 - 55). 




Wir verlassen die Verkündigungskirche und machen uns auf den Weg zu Ghadas Café, in dem sie auch Kunsthandwerk zum Verkauf anbietet.


Ghadas Café-Laden liegt ein wenig versteckt, in der sehr deutlich arabisch geprägten Altstadt von Nazareth. Ghada ist nicht nur Cafebesitzerin, Kunstgewerbehändlerin und eine kluge Geschäftsfrau, sondern außerdem ausgebildete Tourguide mit einem Magister in biblischer Archäologie. Sie ist griechisch-orthodoxe arabische Christin und vor allem anderen ist sie eine brilliante Geschichtenerzählerin.

Bei Ghada bekommen wir zunächst einen stilecht-orientalischen Lunch serivert. Alles schmeckt einfach nur köstlich: Ofenfrisches Pittabrot mit Zatar oder Schafskäse, Falafel, Hummus, Gemüse, Joghurt und Oliven, später noch Pfefferminztee und ein Dattel-Feigen-Johannisbrotkonfekt.

Wir geniessen unsere Mahlzeit in diesem wunderschönen Ambiente und hören gespannt zu, was Ghada erzählt über ihre Kindheit, ihren Werdegang und darüber wie es ist, als Angehörige einer nichtjüdischen Minderheit in Israel zu leben.

Als Christin weiß sie die den Schutz und die Freiheiten zu schätzen, den Israel als einziger demokratischer Staat im Nahen Osten all seinen Bewohner*innen gewährt.  Aber sie erzählt auch von den Grenzen dieser Freiheit, die sie als Araberin und Nicht-Jüdin durchaus zu spüren bekommt. Was Ghada berichtet, macht deutlich: Es ist schlimm, wenn die Scharfmacher und Konfliktanheizer auf beiden Seiten die Oberhand gewinnen. Beide Seiten brauchen in dieser Hinsicht dringend eine Kurskorrektur.



Nach dieser Begegnung geht es zu Fuß zurück geht durch den Suk von Nazaraeth.

Alles um uns herum ist so unglaublich bunt und unglaublich laut. Aber - erstaunlicher Weise- fühle ich mich trotzdem sehr entspannt und vitalisiert zugleich. Nicht nur, weil es so verführerisch duftet, nach frisch gebranntem Kaffee und Kardamon.



Und es riecht - mit einem Mal, tatsächlich - nach Holz!

Eine Bandsäge kreischt,

Kein Witz:

Wir stehen mitten in Nazareth direkt vor einer Zimmermannswerkstatt.


Das sagt sich so leicht:
Jesus, der Mann aus Nazareth, war Handwerker.
Zimmermann in der Werkstatt seines Vaters.

Aber wenn es plötzlich so anschaulich wird....

(Dank an Renate für das schöne Foto!).


Mit dem Bus geht es zurück nach Tiberias. Hier teilt sich unsere Gruppe auf: Die einen fahren hoch auf den Berg ins Hotel, um dort zu entspannen.

Die anderen gehen noch eine Runde im See schwimmen, um später zu Fuss nach oben zum Hotel zu laufen oder um nach einem stilvollen Sundowner im Scottish Hostel per Taxi zurück zu kehren.

Ich entscheide mich für die Variante "Schwimmen und Hochlaufen".

Herrlich, dieses klare Wasser! Hier zu schwimmen und daran zu denken, dass dieser See, in dessen Wasser ich mich gerade bewege, der See ist, an dem Jesus so viel Zeit verbracht hat!

Ich denke an Petrus und an jenen Moment in der Nacht auf dem stürmischen See, als er es wagt, aus dem Boot zu steigen und übers Wasser auf Jesus zuzulaufen (Matth. 14).

"Herr, heiß mich zu Dir kommen auf dem Wasser!  hat Petrus gerufen.

Und während ich meine Bahnen ziehe, wandle ich diesen Satz innerlich ab: "Herr, heiß mich zu Dir schwimmen...".  Kindisch, ich weiß. Aber was soll`s - ich freue mir halt einfach ein Loch in den Bauch, dass ich all das erleben darf!


Erfrischt machen wir uns auf den Weg zum Hotel. Ca. 1,5 Stunden sind wir unterwegs. Das hier ist eindeutig keine Touristengegend.

Wir kommen vorbei an ärmlichen heruntergekommen Wohnblocks, kleinen Handwerks- und Industriebetrieben. Wir kürzen ab, nehmen Zwischenwege, die gesäumt sind von allerhand Müll, ausrangierten Möbeln, Zigarettenkippen und zerdrückten Getränkedosen.

Israel hat neben allem Aussergewöhnlichen, geschichtlich und religiös Bedeutendem eben auch diese alltägliche und manchmal eben auch elende Seite.

Wir bekommen mit, dass die Sukkot, die auch hier in diesem heruntergekommenen Viertel zu finden sind, nun nach und nach wieder abgebaut werden. Schade, dass wir Simchat Tora, das Fest der Torafreude, nicht unmittelbar mit erleben konnten. Ich hätte es sehr gerne gesehen und gehört, wie die Torarollen unter Gesang und Tanz durch die Synagoge getragen werden. Aber es hat sich nicht organisieren lassen. Die Synagogen hier sind zu klein. Bei der Grösse unserer Gruppe hätte ein gemeinsamer Synagogenbesuch gerade zu diesem außergewöhnlichen Fest leicht eine Art "Zooeffekt" bekommen können. Das wollten wir natürlich nicht riskieren.

Morgen werden wir in aller Frühe (7 Uhr!) aufbrechen und uns auf den Weg nach Jerusalem machen....

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