20.10.19 Zefat (Safed), Golan, Banyas (Caeserea Philippi), Kibbuz En Gev




 20.10.19: Heute fahren wir ins Obere Galil, nach Zefat (Safed). Unser Weg führt uns durch das Hule-Tal, das den Leser*innen von Leon Uris "Exodus" vertraut sein wird. Hier in einem ehemaligen malariaverseuchten Sumpf haben die ersten Zionist*innen gesiedelt. Unter unvorstellbaren Entbehrungen haben sie versucht, das Gebiet trocken zu legen, indem sie Eukalyptusbäume gepflanzt haben, die dem Boden viel Wasser entziehen. Die meisten dieser Siedler*innen hatten in der Regel überhaupt keine landwirtschaftlichen Vorerfahrungen, sondern waren vorher häufig eher in geisteswissenschaftlichen Berufen tätig.


Zefat liegt, terassenförmig angelegt, hoch oben in den Bergen (850 m - man bedenke: Der See Genezareth liegt 212 m unter dem Meeresspiegel!). Zefat gilt neben Jerusalem, Hebron und Tiberias als eine der vier heiligsten Städte des Judentums. Zefat ist ein Ort der Gelehrsamkeit und das Zentrum der jüdischen Mystik, der Kabbala.

In Zefat leben von sehr viele ultraorthodoxe Familien. Wir sehen heute, an Erev Simchat, dem Vorabend von Simchat Tora (Fest der Torafreude) viele Männer mit Pejes (Schläfenlocken), Ziziot (Gewandzipfeln) und teilweise sogar mit einem beeindruckenden Streimel auf dem Kopf geschäftig durch die engen Gässchen eilen. Die meisten von ihnen haben für das Fest morgen einen Lulav besorgt. Dies ist ein Sträusschen, bestehend aus je einem Weiden-, Palm-  und Myrthenzweig, sowie dem Etrog, einer Zitronatszitrone.

Nathan Landau hat einen Passanten angesprochen und seinen Etrog ausgeliehen, um uns die Zusammensetzung der Zweige zu erläutern.

Aus manchem geöffneten Fenster dringt der Duft von Gebratenem und Gebackenem nach draussen. Vielleicht erklärt das, warum wir kaum Frauen auf der Straße zu sehen bekommen. Sie werden im Haus alle Hände voll zu tun haben mit den Festvorbereitungen. Denn die Rollenverteilung in orthodoxen Familien ist sehr traditionell. Selbstverständlich gibt es auch in Zefat unzählige Sukkot. Sogar an den hohen eher ärmlichen Hochhäusern. Wie wir schon beim Herfahren gesehen haben.



In der Altstadt von Safed gibt es auch eine Art Künstlerviertel mit mehr oder weniger hochwertigen kunstgewerblichen Artikeln. Manches ist wirklich schön. Manches sogar frivol... Leider habe ich das Foto von den Boxershorts gelöscht (Aufschrift: "I am jewish. Convince yourself").

Trotz alledem sollte man sich wohl besser kein allzu heiteres, verklärtes Bild machen von diesem wirklich pittoresk angelegten Städtchen. Das Allermeiste wirkt ziemlich angeranzt und schmutzig. Hier werden einfach andere Prioritäten gesetzt. Ich weiss nicht, wie oft ich auf einem Türschild den Schriftzug "Jeschiwot" (Toraschulen) entziffert habe. Die Männer versuchen, ihr Leben möglichst dem Torastudium zu widmen. Die Infrastruktur dafür ist jedenfalls bestens ausgebaut. Eine Synagoge dürfen wir sogar besichtigen. Trotz des nahenden Feiertags.


In Zafed wird der Messias sehnsüchtig erwartet. Da muss anderes, weniger Wichtiges, hinten anstehen. Eine vor einiger Zeit verstorbene Frau habe derart fest mit der Ankunft des Messias gerechnet, dass sie immer wieder, Tag für Tag aufs Neue, eigens frischen Kaffee und Tee bereitgehalten habe für ihn. So erzählt es uns eine Passantin, die sich  in Nathans Erklärungen einmischt. Denn wenn der Messias komme, werde er selbstverständlich zuerst in Zafed eintreffen. Und weil er dann ja einen strammen Fussmarsch bergauf hinter sich habe, werde er sicher erschöpft sein und dringend eine kleine Stärkung benötigen.


Ob dieser kleine Junge hier sich auf das Fest morgen freut? Keine Ahnung. Bereits festfein gekleidet überbrückt er offensichtlich die Zeit bis es logeht, in dem er mit zwei dürren, etwas räudigen Kätzchen spielt.


Wir verlassen Zafed und machen unterwegs Station in einem kleinen Imbiss und stärken uns mit Falafeln, Pittabrot, Humus und Gemüse.

Den nächste Halt machen wir in Banjas (Cäseräa Philippi). Hier besichtigen wir unter Nathans fachkundiger Führung die weitläufige archäologische Anlage mit den Ruinen des herodianischen Palastes und den Resten der Pan-Tempel.


Ausgerechnet hier, an diesem wunderschönen , wenn gleich römisch- heidnisch geprägten Ort im Norden Israels, hat Jesus nach dem Zeugnis des Matthäusevangeliums seine Jünger gefragt, für wen ihn die Leute halten. "Für Johannes den Täufer? Für Elia? Oder Jeremia? Oder für einen der anderen Propheten?" Und dann die Frage: "Für wen haltet ihr mich?"

Petrus traut sich als erster auszusprechen, was ihm und den anderen immer klarer wird: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes".


Wir fahren weiter über die Golanhöhen bis wir etwas verspätet am Kibbuz Ein Gev am Ostufer des See Genezareth ankommen, einem der ersten Kibbuzim überhaupt.


Unser Gesprächspartner, ein Bewohner von En Gev erläutert uns die Geschichte des Kibbuz und seine Entwicklung bis heute.


Spannend: Die Gründer*innen nutzen seinerzeit eine Lücke in der türkischen, bzw. britischen Gesetzgebung. Eine Siedlung, die innerhalb eines Tages errichtet wurde, galt als legal. Auch ohne vorherige Genehmigung. Mit 800(!) Freiwilligen von überall her legen die Kibbuznik los. Bereits kurz nach Mitternacht erreichten sie mit Hilfe eines Konvois schwerer LKWs  das noch gänzlich unerschlossene Gelände. Innerhalb von 24 Stunden errichten sie einen Turm, umschlossen von einer Mauer. Der Anfang ist gemacht! Was für eine spannende Geschichte... Auch wenn die Blütezeit der Kibbuzim längst vorüber ist (wachsender Individualismus und der Geist des Neoliberalismus haben auch in Israel ihre Spuren hinterlassen) - hier leben Menschen ein alternatives Leben. Jenseits der üblichen Vorstellungen von Eigentum und Privatheit. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - hier ist sie vollkommen problemlos zu realisieren.


Wir lassen unseren Besuch in Ein Gev mit einem erfrischenden Bad in den Wellen des See Genezareth ausklingen. Wie ausgelassene Kinder werfen wir uns die Fluten und genießen das überraschend warme Wasser und die letzten Strahlen der Sonne. Was für eine herrliche Lage dieser Kibbuz hat! Dass die Bewohner von En Gev vor der Anexion des Golan in ständiger Angst vor feindlichen Scharfschützen gelebt haben, gerät darüber leicht aus dem Blick.



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