19.10.19 Tabgha, Kapernaum, Berg der Seligpreisungen

19.10.19: Der neue Tag beginnt mit einem herrlichen Sonnenaufgang über dem See. Was für ein Ausblick! Wenn es in den Evangelien heisst, dass Jesus vor Tagesbeginn allein auf einen Berg stieg, um zu beten (z.B. Mark. 1, 35), habe ich jetzt auf jeden Fall schon einmal ein anderes Bild vor Augen.


Nach dem Frühstück trifft Gilya ein, die Tochter von lieben israelischen Freunden meiner Eltern. Sie wird den Tag mit uns verbringen. Eine ganz besondere Erfahrung! Es ist schön, nach Israel zu kommen und dort schon von einem lieben Menschen wie Gilya erwartet zu werden.

Unsere erste Station ist das Kloster Tabgah, wo der Tradition folgend das Wunder der Brotvermehrung stattgefunden haben soll.

5000 Menschen plus Frauen und Kinder werden satt. Von fünf Broten und zwei Fischen.

"Wie könnte das heute aussehen, so ein Brotvermehrungswunder?" 

fragt mich eine Frau aus unserer Gruppe.

Eine gute Frage.

Ich überlege.

Und muss an die Situation im Herbst 2015 denken.

Daran, wie erstaunlich das im Grunde war, dass es uns, allen Befürchtungen und Schwierigkeiten zum Trotz, gelungen ist, all die viele Flüchtlinge zu versorgen und unterzubringen.

Daran erinnert Tabgha auf jeden Fall:

Wenn alle ihre Ressourcen zusammenwerfen, werden Dinge möglich, die normalerweise als unmöglich betrachtet werden.

Wunderbarerweise.



Wir fahren weiter zur Petruskapelle direkt am Seeufer. Hier soll die Stelle sein, wo nach Johannes 21 der auferstandene Jesus seine enttäuschten und nach einer langen Nacht auf dem Fischerboot erschöpften Jünger mit einem leckeren Frühstücks-Barbecque überrascht.

Jesus spricht mit Petrus. Das erste Mal nachdem Petrus Jesus verleugnet hat. Aber anders als man es vielleicht erwarten könnte, geht es Jesus offensichtlich überhaupt nicht darum, die Sache mit der Verleugnung noch einmal zur Sprache zu bringen.

"Petrus, liebst Du mich?" Das ist es, was Jesus interessiert. Dreimal stellt Jesus Petrus diese Frage.

Dreimal bejaht Petrus.

"Du weisst alle Dinge, Herr", antwortet er beim dritten Mal. "Du weisst, dass ich Dich liebhabe". 

"Weide meine Schafe", trägt Jesus ihm auf.

Nicht Fehlerlosigkeit, sondern die Liebe ist entscheidend für Jesus.



Nun also sitzen auch wir hier am Ufer. Auf ein paar Steinen im Schatten hoher Palmen und alter Olivenbäume. Wir feiern gemeinsam Abendmahl. Schlicht in der Form und gerade deshalb sehr schön.


Ein paar Schritte von uns entfernt schürzen während dessen einige junge Nonnen ihre schwarzen Gewänder und baden ihre Füsse im heiligen Wasser. Andächtig einerseits. Andererseits hantieren einige von ihnen mit ihren Handys und knipsen kichernd jede Menge Selfies.

Als wir unsere kleine Abendmahlsandacht beendet haben, sind auch die Nonnen so weit, trocknen ihr Füße ab und ziehen ihre Schuhe wieder an.


Auf uns wartet nun ein besonderes Erlebnis: Eine Bootsfahrt auf dem See Genezareth. In einem Boot, das von seinem Aufbau her einem Ende der 80iger Jahre gefundenen Boot aus der Zeit Jesu nachempfunden ist.

Gilya und ich kommen auf dem Weg zum Boot auf den wachsenden Antisemitismus in Deutschland zu sprechen. Jüdische Freunde von Gilya, die in Berlin leben, so sagt sie, hätten sich bereits in Tel Aviv eine Wohnung gekauft. Ihre Freunde seien es leid, sich in Berlin immer wieder beleidigen und anfeinden zu lassen.

Gilyas Antwort auf meine Frage, was sie für ein wirksames Gegenmittel hält: "Let them know, we are just humans and bring them to Israel."



Nach der Bootsfahrt besuchen wir an einer anderen Stelle am See einen Ort mit einem arabischen Restaurant. Dort blüht das Geschäft. Aber wie!

Erst schrecke ich zurück: So viel Lärm! Wie ist es hier wohl um die Hygiene bestellt? Ach, was soll`s - ich muss lernen, weniger pingelig zu sein... Und das hier ist eine wunderbare Gelegenheit dafür.

Ich lasse mich also ein auf die Situation und stelle fest: Es schmeckt sehr gut. Trotz des Trubels und trotz der unfassbar vielen Leute um mich herum.

Beinahe alle aus der Gruppe verschmähen die angebotenen üppigen Fischgerichte und bevorzugen einen leichten Salat, Hummus und Pittabrot.

Denn direkt auf dem Gelände des Restaurants liegt eine herrliche Badestelle. Diese Chance gilt es zu nutzen und mit vollem Magen schwimmen? Soll ja bekanntlich nicht ratsam sein.


Das Wasser im See ist angenehm kühl und zugleich nicht abschreckend kalt. Eine ideale Erfrischung an diesem heissen Tag.


Gestärkt besuchen wir nun Kapernauum und damit den Ort an dem Jesus längere Zeit gelebt hat und wo auch einige seiner Jünger, z.B. Petrus, gewohnt haben. Kapernauum ist heute kein bewohnter Ort mehr, sondern eine Art Freiluft-Museum. Nathan erläuert uns die Anlage und die dazu gehörenden archäologischen Theorien - auf spannende, unterhaltsame Art.

Im Eingangsbereich betrachten wir eine moderne Christusdarstellung, die an Matthäus 25 erinnert: "Ich war obdachlos und ihr habt mich aufgenommen".

Erinnerungen steigen auf, an meine Zeit als Sozialarbeiterin in der Wohnungslosenhilfe. Seltsam, hier in Kapernaum plötzlich an die Beratungsstelle in der Siegener Herrenwiese zu denken und an die Leute vom Café Patchwork. Und auch wieder überhaupt nicht seltsam. Sondern großartig von denen, die dafür verantwortlich sind, dass diese Skulpur hier ihren Platz gefunden hat. Weil Jesus keine Figur aus dem Archälogie-Museum ist. Man kann ihm begegnen. Ganz real. Die Chancen ihn bei denen zu finden, die Platte machen oder in der Notunterkunft schlafen, sind sehr hoch. Kann ich nur bestätigen. 


Unsere letzte Station heute ist der Berg der Seligpreisungen. Hier oben steht eine Kapelle inmitten einer herrlichen Parkanlage. Vor der Kirche singt und tanzt eine in exotische liturgische Gewänder gekleidete äthiopische Pilgergruppe. Ihre Musik und ihre Bewegungen haben etwas ausgesprochen Sanftes.


Gilya und ich verweilen hier ein wenig.

Was für eine Wirkung hat der schlichte galiläische Rabbi Jesus entfaltet! Aus allen Nationen kommen die Touristen inzwischen, um die Jesus-Stätten am besuchen. Aus Südosteuropa, Korea, Brasilien, Tansania... um einige der Länder zu nennen, aus denen uns heute andere Touristen begegnet sind. Wachsender Wohlstand, auch in den sogenannten Schwellenländern, vor allem aber günstige Flugtickets machen es möglich. Was mit Blick auf die Klimakrise ziemlich beängstigende Seiten hat. Aber warum sollten andere nicht auch erleben wollen, was uns wohlhabenden westlichen Europäern schon seit Jahrzehnten möglich ist?

Wahrscheinlich, nein ganz sicher ist wichtiger de je, dass wir die Worte und den Geist von Bergpredigt und Seligpreisungen in unser Leben hineinregieren lassen.

Über einem von Nathan angeregten Plenumsgespräch in einer schattigen Pergola über das von Jesus geforderte "die andere Wange auch noch hinhalten", vergesssen wir die Zeit und können das Innere der Kirche nicht mehr besichtigen. "No, sorry, closed", sagt die alte Nonne freundlich, aber bestimmt.

Nicht schlimm. Wir geniessen den Garten noch etwas und lassen die Seligpreisungen auf uns wirken.









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